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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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mir?« Sie bemerkte, dass die Ankunft der Okigbo mehr Eindruck auf sie gemacht hatte, als ihr lieb war.
    »Er hat die Santissima Trinidad. Jedenfalls glaubt der Opal das, und wir glauben es auch. Sie ist zur gleichen Zeit verschwunden wie er. Sie hat sich, nun ja, in Luft aufgelöst. Die ST war unser größtes Schiff, zwanzig Kilometer lang, viele Millionen Tonnen schwer, mit mehr als einhunderttausend Gästen, die Schiffssymbionten, die in die Millionen gehen, nicht eingerechnet. Die ST hatte als einziges Schiff Sitz und Stimme bei den Reinen. Du verstehst nicht, was das heißt, aber es bedeutet unter anderem, dass alle anderen Schiffe im Notfall der ST gehorchen würden.«
    »Gäste?«
    »Besatzung. Die Schiffe nennen die Besatzung Gäste. Kurz bevor die ST verschwand, meldete einer der Gäste Abstoßungsreaktionen des Schiffes. Das Schiff meldete sich kurz darauf selbst und sagte wörtlich: ›Sie waren nur Gäste. Auf Wiedersehen‹. Es kommt immer wieder vor, dass einer der Gäste von einem Schiff abgestoßen wird, weil es ihn nicht verträgt, der Gast hat dann die Gelegenheit, beim nächsten Rendezvous oder im nächsten Raumhafen auszusteigen. Nur zweimal in der Geschichte des Opals haben Schiffe ihre gesamte Besatzung vernichtet, und es ist zwei- oder dreihundert Jahre her. Niemand hätte im Traum daran geglaubt, dass die ST zu einem solch brutalen Akt in der Lage wäre.«
    Latil war sich über ihre Empfindungen nicht sicher. Immer noch wirbelte die Ankunft der Okigbo in ihrem Kopf herum. Sie versuchte sich ein dreieinhalb mal so großes Schiff wie dasjenige vorzustellen, das sie eben in den Hafen hatte einlaufen sehen. Es gelang ihr nicht. Vorsicht, dachte sie, diese Leute sind Meister im Erzeugen von Realitäten. Sie merkte, wie ihre Skepsis abgetragen wurde, Schicht für Schicht.
    »Warum glaubt ihr, dass sie tot sind?«
    »Wir haben Rettungskapseln gefunden. Nach der letzten Inventur waren sie vollzählig, etwa zweihunderttausend. Sie waren alle leer. Das Schiff ist bei Eline. Er hat es dazu gebracht, die Gäste umzubringen. Das ist alles sein Werk.«
    Während Haku sprach, alterte er zusehends. Seine Kopfhaut wurde dünner, die Augen sanken in tiefe Höhlen, Falten gruben sich wie Kanäle in die immer ledrigere Haut ein, seine Haare zogen sich von der Stirn zurück und verschwanden schließlich ganz. Latil versuchte innerlich dieses sekundenschnelle Altern als bloßen Effekt abzutun, aber es gelang ihr nicht recht. Haku wollte ihr etwas sagen.
    »Was soll das?«, fragte sie barsch.
    »Ich will nicht, dass du mich noch einmal ›mein Junge‹ nennst. Ich bin so viel älter als du.«
    Selbst seine Stimme hatte einen schartigen, krächzenden Klang angenommen. Latil blinzelte. Das Mondo war verschwunden.
    Latil wusste, dass sie sich entscheiden musste. Ihre Realität war seit der Ankunft im Opal in eine Wolke von Nonsens aufgelöst worden, aber da diese Wolke von Nonsens die Welt darstellte, in der sie sich derzeit aufhielt, hatte sie keine andere Wahl, als sie für bare Münze zu nehmen. Die Taan hatten vor langer Zeit beschlossen, eine Welt und eine Kultur aufzubauen, die ihr unsinnig vorkam, aber da sie von genau dieser Welt und dieser Kultur lückenlos umgeben war, hatte sie keine Alternative. Sie merkte, dass sie Haku gegen ihren Willen vertraute. Sie glaubte ihm, vielleicht nicht nur, weil sie keine andere Wahl hatte. Immerhin war er der einzige Taa, den sie bisher physisch berührt hatte, wenn auch nur, um ihn niederzuschlagen. Nun gut, da war noch der Kragen gewesen, der nach den hiesigen Vorstellungen ebenfalls als Taa angesprochen werden musste, aber so lange keines dieser Dinger mit ihr gesprochen hatte, würde sie diese Sichtweise nicht akzeptieren, Devolution hin oder her. Es gab in Wirklichkeit nichts zu entscheiden. Entweder sie würde kooperieren, oder sie würde in diesem Zimmer verschimmeln. Oder möglicherweise einfach nur sterben, wenn Eline seine stumme Drohung wahr machte. Wie war sie dahin gelangt, Haku die Behauptung abzukaufen, dass Eline den Opal zerstören wollte? Die Okigbo hatte sie überzeugt. Latil bat die Zimmerdecke, ihr Archivaufnahmen von der ST zu zeigen, und sie war überwältigt. Eine fliegende Stadt. Ein fliegendes Gebirge. Eine fliegende Insel, mit eigenen Häfen für kleinere Schiffe. Vor der bleichen Scheibe eines Planetenmonds. In den Hafen einlaufend, in das einzige Dock, das sie aufnehmen konnte. Triebwerke von der Größe der Okigbo, die sie bis auf ein

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