Der Opal
gelegenen Punkt zum Stillstand zu kommen, um sich dann langsam und träge auszuschaukeln. Das Ganze machte einen gleichzeitig fragilen und dennoch sehr massiven Eindruck, und Latil konnte zu keinem Zeitpunkt wirklich entscheiden, ob sie eine technische oder eine natürliche Struktur vor sich hatte. War das ein Schiff oder ein Tier? Alles, sie selbst, das Zimmer, jeder Punkt des Zimmers war von einem überwältigenden Gesang angefüllt. Walgesang. Elektrisch-metallischer Walgesang. Instrument für Instrument wurde aus dem Orchester genommen, während das Schifftier sanft ausschaukelte und lange Schläuche aus dem Off in grazilen Bögen auf den Körper zuschossen, einer nach dem anderen, wie die Kaskaden einer Wasserfontäne. Die Schläuche suchten sich selbst ihr Ziel am Körper des Schiffes und bohrten sich in die leicht zuckende Haut des Schiffskörpers, die Stück für Stück zu glühen aufhörte und von allen möglichen Rottönen in ein tiefes Schwarz umschlug. An den Stellen, an denen das Rot am hellsten gewesen war, nahm der Schiffsrumpf im Licht der Umgebung ein anthrazitartiges Glänzen an. Zuckende Lichtflächen schraubten sich über den Rumpf in irrwitzig schnellen Spiralen, Wellen von Licht jagten einander über die Haut, sich an den Einstich- oder Ansaugstellen der Schläuche brechend wie Wasser an Bootsstegen, refraktierend, einander aufschaukelnd, einander auslöschend. Noch war die Musik da, aber sie wurde immer leiser. Große Tore im Rumpf öffneten sich und ein Strom von unregelmäßig und regelmäßig geformten Gegenständen begann direkt auf Latil und Haku zuzutreiben. Latil musste genauso unwillkürlich an Pollenflug denken, wie sie beim Anblick des Schiffes an Wale hatte denken müssen. Als sie das Mondo, das immer noch mit erhobenem Arm zur Decke zeigte, von der Seite musterte, flackerte sein Licht im Widerschein der Lichtwellen, die über den Rumpf des Schiffes krochen. Gerade als die ersten der fliegenden Gegenstände in Latils Zimmer fallen wollten, wechselte die Kameraperspektive und man sah das Schiff von oben, auf ganzer Länge von den Schläuchen in einer Werft festgehalten, von deren Wänden sich jetzt große, komplexe Platten lösten, die sich wie Hände unter den Rumpf des Schiffes zu schieben schienen, wie zum Empfang der Gaben, die das Schiff aus sich entließ. Die vordere Querseite der Werftbucht, dort, wo die Schnauze des Schiffs festgemacht war, begann zu glühen und in einem immer helleren Rot aufzuleuchten, während das Schiff selbst eine Aura entwickelte, die es nach kurzer Zeit wie ein Kokon aus strahlender Seide umgab. Latil erwartete einen Höhepunkt, ein schlagartiges Wiedereinsetzen der Musik, einen Paukenschlag, aber nichts dergleichen geschah. Die Aura und das Glühen der Werftwände fielen in sich zusammen, die Schläuche lösten sich und sprangen zurück, die großen Platten hoben sich unter dem Schiff hervor und alles beruhigte sich, anscheinend nach einem lange eingespielten und harmonisch ablaufenden Ritual. Ganz zum Schluss lösten sich anscheinend weiße Teile vom Heck des Schiffes, stiegen auf und verschwanden aus dem Blickfeld. Perspektivenwechsel. Der schwarze, matt glänzende Rumpf des Schiffes, über den ein noch dunkleres Schwarz hinwegzukriechen begann wie eine Sonnenfinsternis, während sich gleichzeitig ein gelbliches Licht dagegenschob, um schließlich Oberhand zu gewinnen. Der Hangar war geschlossen worden. Und in seinem künstlichen Licht lag das Schiffstier da wie ausgebrannt. Es schwebte in seinem Dock wie von Wasser getragen. Aber da war kein Wasser, als die Kamera unter den Rumpf kroch. Aus einer Falte am Boden flogen rote Dodekaeder auf, die am Rumpf zu haften und hochzukriechen begannen, ähnlich wie die runzligen Bälle an Haku.
»Luftwale«, hörte sich Latil sagen, während sich die roten Dodekaeder auf dem Rumpf ausbreiteten wie ein Ausschlag auf einem menschlichen Körper. Ihr Zweck war nicht schwer zu erraten: Schiffspflege. »Eure Schiffe sind Luftwale.«
»Ja. Wale. Du hast Recht«, sagte Haku. Seine Stimme klang müde und traurig. »Was du hier siehst, ist ein kleinerer Frachter, die Okigbo, sechs Kilometer lang, zehn Millionen Tonnen Leergewicht. Sie ist gerade von Keik gekommen, wo sie ein Jahr lang gegrast hat, um für die große Wallfahrt gut aufgefüttert zu sein. Sie ist ein gutes Schiff. Sie wird bei der Wallfahrt eine wichtige Aufgabe übernehmen.«
»Eline«, warf Latil ein. »Was hat das mit Eline zu tun? Und vor allem mit
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