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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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herab. Einzelne Teile der Verkleidung schienen sich gelöst zu haben und kamen herunter, erstaunlich langsam fallend. Oder war der Dom so hoch, dass ihr Fall so lange dauerte? Sie hatten alle die gleiche achteckige Form. Die Dinger segelten eher, leise, sachte, sanft. Ein Aufatmen ging durch die Menge, als geschehe jetzt etwas, worauf sie zu lange gewartet hatte. Eines der Achtecke schien sich jetzt auf ihre Gruppe zu konzentrieren. Latil entging nicht, dass Kea als Einzige nicht nach oben sah. Sanft glitt das Achteck neben sie, blieb stehen, fünf Zentimeter über dem Boden in der Schwebe. Kea betrat es zuerst und die andern folgten ihr ohne großes Aufsehen.
    »Einer eurer Bürger?«, fragte Latil Kea und stampfte dabei leicht mit dem rechten Fuß auf. Der Boden war weich.
    Kea nickte ernsthaft. »Genau genommen zehn von ihnen. Gengruppiert.«
    Ein Mann, der ein wenig abseits der Gruppe gestanden hatte, schloss sich ihnen an. Latil merkte gleich, dass er kein Taa war. Als sich ihre Augen trafen, begann er zu lächeln. Sein Gebiss war völlig ruiniert. Mit seinen sanften Augen, dem leicht verwirrten Haar, dem nachlässigen Druckanzug gab ihm dieses Gebiss das Aussehen eines Trottels.
    Kea sagte: »Darf ich dir deinen zweiten Beauftragten Eytarri vorstellen? Er ist ein Zamna und lebt schon lange im Opal. Eytarri und Haku werden sich darum bemühen, dir unsere Kultur noch näher zu bringen.«
    »Treue«, sagte Eytarri. »Wir haben einen Vertrag.«
    Da Latil absolut nicht wusste, was sie darauf antworten sollte, blinzelte sie nur zurück und dachte bei sich, dass es auf einen Verrückten mehr auch nicht ankäme. Während ihres kurzen Gesprächs war eine ganze Wand des Doms weggefallen, ohne einen Laut, und gab jetzt den Blick auf eine Halle frei, die so absurd groß war, dass Latil beinahe gelacht hätte. Die Halle war voller Schiffe.

Wallfahrer
     
    Elegant glitten die Plattformen auf die Schiffe zu. Es war angenehm, von ihnen getragen zu werden, nie beschleunigten oder bremsten sie zu schnell, es gab keine Konfusion, keine Zusammenstöße. Aus den Seiteneingängen des gigantischen Docks strömten viele andere Plattformen. Latil konnte schlecht abschätzen, wie viele es waren, es schienen Zehntausende zu sein. Es machte keinen Unterschied. Das kilometerweite Dock war einfach zu groß. An der Decke der riesigen Halle zogen Wolken entlang. Ein Schriftzug taumelte zwischen ihnen hindurch, Latil las Buchstabe für Buchstabe: »E-s l-e-b-e d-e-r f-r-i-e-d-l-i-c-h-e O-p-a-l!«
    Die Schiffe waren dicht gestaffelt. Als sie unter der ersten Reihe der Kolosse hindurchflogen, abwechselnd vom Schatten ins Licht, vom Licht in den Schatten, hatte Latil den Eindruck, sie flöge unter schwebenden Bergen. Manche der Schiffe suchten mit Scheinwerfern ihre Bauchseite ab, andere waren miteinander über schmale Brücken oder über Schläuche verbunden, andere summten leise, aber durchdringend vor sich hin. Querverstrebungen, Flächen, die aussahen, als seien sie aus verrostetem Stahl, Lichtkaskaden, Triebwerkwülste, hängende Gärten aus Glas, Metall, Keramik, Mischungen aus alledem, aus Materialien, die sie noch nie gesehen hatte. Irisierende Häute, die aussahen wie betaut. Schiffe, die miteinander zu spielen schienen, indem sie Lichtbänder ausschickten, die vom Boden und den anderen Schiffen reflektiert wurden, fast durchsichtige Schiffe, die ihren Schatten in der künstlichen Sonne des Docks nur als grauen Rauch auf den Boden warfen, ihre Haut durchzogen von pulsierenden Adern, in denen man die Blutkörperchen fließen sah. Gebilde, die aussahen, als seien sie aus ineinander geschobenen silbrigen Plättchen gemacht, zerborstenes und zermahlenes Perlmutt von Riesenmuscheln über eine Strecke von einem halben Kilometer. Sie hörte Sirenen, technisches Summen, Menschenstimmen, schwere Schläge gegen die Rümpfe, alles von hoch oben, weit über ihr. Spielende Berge, schwebende Städte, fliegende Kathedralen. Latil wusste nicht, wie viel von alledem Maskerade und Projektion war, sie ließ nach einer Weile alle Eindrücke ungefiltert ein und wieder aus, sie sehnte sich nach einem einfachen, realen Stuhl, nur um darauf zu sitzen. Keines der Schiffe war kürzer als fünfhundert Meter. Die Taan dachten in Maßstäben, die nicht die ihren waren. Direkt vor ihrem Gesicht tauchte eine Projektion auf, leicht und luftig über die Realität gelegt wie ein Schleier. Viele kleine leuchtende Punkte fuhren unter geometrisch kompliziert verästelten

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