Der Opal
Gesicht ausmachen. Sie fielen gemeinsam, vielleicht einen halben Meter voneinander entfernt, von Angesicht zu Angesicht. Latil ärgerte sich darüber, dass die Situation etwas unangenehm Erotisches an sich hatte. Sie freute sich, dass sie sich schon wieder ärgern konnte. Sie glaubte nicht mehr daran, dass sie jetzt sofort sterben musste.
»Was ist das?«, fragte sie barsch.
»Unser Transportsystem. Hier auf Pasiphae.«
»Ja und?«
»Feldeffekttechnologie. Für die sich die Dolza angeblich nicht interessieren. Kommt von den Dolza.«
Sie fragte sich, warum sie diesen Klugschwätzer eigentlich mochte. Sie bastelte noch an einer Antwort, als er abtauchte, plötzlich schneller fallend, sie zurücklassend. Das Licht war nicht mehr gelb, sondern elektrisch blau. Erst als er Arme und Beine wieder ausgebreitet hatte, konnte sie zu ihm aufschließen. Ihr Herz beruhigte sich.
»Was sollte das?«, fragte sie.
»Ich habe alle anderen Passagiere gewarnt, dass wir mit einer Anfängerin unterwegs sind«, sagte er arrogant.
Und wirklich, jetzt kamen ihnen andere entgegen. Sie fielen einfach aufwärts. Manche schienen sich einen Spaß aus der Sache zu machen. Sie drehten sich um alle Körperachsen, wirbelten nach einer kompliziert wirkenden Choreographie umeinander, von der Latil immer nur Bruchteile mitbekam, turnten elegant durch die Luft. Vom Dopplereffekt erst gestauchtes, dann gedehntes Gelächter zog an Latil vorbei. Hundesöhne, dachte sie. Pasiphae, was ist Pasiphae? Ein Mond, sagte ihr die Intuition. Sie nennen einen ihrer Planetenmonde so, wie den alten Jupitermond. Anhänglichkeit. Ich falle durch einen Mond. – Gegenverkehr. Keine Menschen. Oder vielleicht doch ›Bürger‹? Drei durch schmale Brücken miteinander verbundene Kugeln rasten auf sie zu, rotierend, schillernd. In dem Moment, als sie kollidierten, schloss sie die Augen. Keine Kollision. Keine Spur von den drei Kugeln, als sie die Augen öffnete. Wenn die Dolza für eines bekannt waren, dann für ihren fanatischen Perfektionismus. Die Taan hatten einen kabinenlosen Aufzug bei ihnen bestellt? Die Dolza hatten ihn geliefert. Sie begann den Flug gerade vorsichtig zu genießen, als sie auf eine schwarze Scheibe zurasten, die ihr massiv genug für eine klassische Bauchlandung erschien.
»Das Tor«, sagte Haku, als sei damit alles erklärt.
Der Aufschlag war sehr weich. Sie fühlte sich, als würde sie langsam durch eine enorm dicke Schicht tiefschwarzer Watte hindurchgepresst. Es dauerte seine Zeit. Dann Licht. Glas. Licht. Und sie schlug noch einmal auf. Diesmal aber wirklich.
Der Aufprall war immerhin so hart gewesen, dass ihr kurz die Luft wegblieb. Das Erste, was sie danach wahrnahm, waren die eigenartigen Stiefel der Taan, die aussahen, als habe man in massiven Stahl große Löcher geschossen und danach die Krater sorgfältig geglättet. Sie raffte sich auf. Jemand half ihr dabei.
»Alles in Ordnung mit deinem Anzug?«, fragte Domale Make.
Haku sah ihn an, und er schwieg.
Oh, mein Freund, dachte Latil, das wird ein Fest, wenn du deine Scheiße frisst.
»Bestens«, antwortete sie laut. Es klang nicht sehr überzeugend. Die anderen ließen ihre Helmsegmente in die Anzüge zurückfahren, und Latil tat es ihnen gleich. Der Glaszylinder, der sie umgab, hob sich, und bevor Haku sie von der Plattform zog, auf der sie aufgeprallt war, legte er einen Zeigefinger auf seine Lippen. Der graue Dom, dessen Kuppel sich über ihnen spannte, war voller Menschen. Keine Sitze. Alles stand in einem sakralen Dämmerlicht still und schweigend herum. Die metallischen Bestandteile der Raumanzüge schimmerten leicht in einem goldenen Zwielicht. Haku und die anderen zogen sie hinter sich her durch die Reihen, niemand murrte, als sie sich hindurchdrängten. Teilweise wirkten die Leute wie in Trance. Sie sahen alle in die gleiche Richtung. Als sich die letzte Reihe vor ihr teilte, wusste Latil sofort, worum es hier ging. In der Mitte des engen Kreises, den die Zuschauer um sie herum gezogen hatten, stand eine nackte Frau. Ihr weißer Körper war übersät von den runzligen braunen Bällen, die sie von Haku schon kannte, und sie krochen genauso langsam und beharrlich an ihr hinauf wie an ihm. Trotzdem war die Frau so schön, dass es Latil einen heißen Stich ins Brustbein versetzte. Es tat auf einmal sehr weh, an ihre letzte Geliebte zu denken, vor allem an ihr bitteres »Du fickst zu gut.« Möglicherweise war Bacab sogar in sie verliebt gewesen. Bacab war nicht so
Weitere Kostenlose Bücher