Der Orden
anfängliche, kühne Idee, zurückzutreten und sich zur Wahl zu stellen, hatte Artorius längst stillschweigend fallen lassen. Aber er und Regina hatten sich unter vier Augen über seine Nachfolge und die Notwendigkeit männlicher Nachkommen unterhalten. Sie sprachen es nicht aus, aber es war offensichtlich, dass sie nicht die Mutter seiner Kinder und der Ursprung der darauf folgenden derbfine sein würde. Sie vermutete, dass er auch mit anderen Beratern sprach, beispielsweise mit Myrddin – und vielleicht nahm er bereits andere Frauen mit in sein Bett. Aber das interessierte sie nicht weiter. Ihre Liaison mit Artorius erfüllte ihren Zweck: Sie sorgte dafür, dass Brica und sie am Leben blieben.
Während Regina sich in ihren Gedanken verlor, schweifte Bricas Aufmerksamkeit ab. Galba lief im hinteren Teil der Werkstatt herum, wischte sich die Hände an einem Lappen ab und scherzte mit einem anderen Arbeiter.
Galba war klein und stämmig, mit breitem Gesicht und groben Zügen; er hatte helle Haut und dickes rotes Haar, ein verräterisches Zeichen, dass er und die Seinen von den Pikten nördlich des Walls abstammten. Er war jung – jünger als Brica, die jetzt ehrwürdige achtundzwanzig Lenze zählte. Galba war mit seiner Familie aus dem Norden gekommen, auf dem Weg nach Armorica. Sie waren mit Sachsen aneinander geraten, aber eine zufällige Begegnung mit einem Trupp von Artorius’ Soldaten hatte ihnen das Leben gerettet. Galbas Familie hatte einen leer stehenden Hof nur einen halben Tagesritt von hier übernommen, und sie waren Bürger des neuen Königreichs geworden. Brica hatte Galba bei einem Fest in einem der Gehöfte kennen gelernt. Sie hatte Regina dazu bewegt, Galba ins Dunon zu holen und ihn probehalber an eine Esse zu stellen. Galba hatte seine Sache so gut gemacht, dass Myrddin ihm einen festen Posten in der Werkstatt gegeben hatte.
Und zu Reginas Kummer hatte Galbas Umzug ins Dunon Brica überglücklich gemacht. Galba war fröhlich, robust, tüchtig und offensichtlich attraktiv – aber in Reginas Augen dumm wie Bohnenstroh. In dieser Hinsicht hatte er erstaunliche Ähnlichkeit mit Bran, dem Bauernjungen, Bricas erster Liebe – eine Beziehung, die Regina schon vor langer Zeit unterbunden hatte.
Jetzt kam Galba aus der Werkstatt und rief leise nach Brica.
Irgendwie hatte er es geschafft, eine Strähne rußiger Haare an seiner Schläfe zu versengen. Brica nahm ein Messer und sägte vorsichtig an den geschwärzten Spitzen. Galba bückte sich ein wenig, damit sie herankam, und während sie arbeitete, schob sich ihr Körper näher an seinen heran, und ihre Wange legte sich an seine Schläfe.
Sie gehörten zusammen. Es war eine plötzliche, unwillkommene Wahrheit, und dennoch ließ es sich nicht leugnen. Regina merkte jedoch, wie sich in ihrem Innern Eifersucht zusammenballte. Ich darf das nicht zulassen, dachte sie.
Nicht zum ersten Mal stellte sie fest, dass sie intuitiv zu einer Entscheidung gekommen war, die sie im Nachhinein ergründen musste. Sie verspürte Galba gegenüber dieselbe Feindseligkeit wie früher gegenüber Bran. Warum?
Galba spielte jetzt eine größere Rolle in Bricas Leben als sie. So sollte es auch sein. Es gab jüngere Frauen als Brica, die schon Großmütter waren. Das war der Lauf der Dinge. Eine Tochter ist wichtiger für eine Mutter, als es eine Mutter jemals für eine Tochter sein kann, denn die Tochter stellt die Zukunft dar, und die Zukunft muss die Oberhand über die Vergangenheit haben. Regina sollte einfach – loslassen.
Und doch enthielt die Vergangenheit alles Wertvolle in ihrem Leben: die Villa, ihre eigene Mutter, die Städte, die schönen Dinge. Frieden und Ordnung, Reichtum und Schönheit. Wenn sie Brica in die Arme dieses tölpelhaften Jungen, dieses Schmiedlehrlings entließ, der eher mit den Muskeln als mit dem Kopf dachte, dann war nur noch Bricas Zukunft von Bedeutung, und Reginas Vergangenheit galt nichts mehr. Es war eine Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft – eine Spannung, die sich so plötzlich in ihrem Kopf löste, wie sich Wolken vom Antlitz der Sonne verzogen, und eine warme Entschlossenheit erfüllte sie.
Ich werde diesem Verhältnis ein Ende bereiten, dachte sie, genauso wie ich Bran losgeworden bin. Ich weiß noch nicht, wie, aber ich werde einen Weg finden. Ich muss es tun, um der Vergangenheit willen, die kostbarer ist als die Zukunft und darum bewahrt werden muss.
Von Westen wehte das Schmettern von Trompeten heran: Es war ein
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