Der Orden
Fußgänger waren unterwegs: Ganze Kolonnen stapften zum Hafen oder verließen ihn, die Köpfe, Schultern und Rücken mit Kisten und Säcken beladen. Kutschen, Pferdefuhrwerke und Reiter bahnten sich ihren Weg durch die Menge. Sie passierten mehrere Raststationen hintereinander, und Händler wetteiferten darin, den Vorbeikommenden Nahrung, Wasser, Schuhwerk und Kleidung zu verkaufen.
Regina warf einen Blick in ihren Geldbeutel. »Ceawlins Geld geht allmählich zur Neige.«
Brica schaute mürrisch auf die Menschenmenge hinunter. »Ich hoffe, es hat sich für dich gelohnt«, sagte sie kalt.
»Ja, es hat sich gelohnt«, sagte Regina. »Es hat sich gelohnt, weil wir keine andere Wahl hatten. Hör zu, Brica. Ich weiß nicht, was uns in Rom erwartet. Es wird bestimmt eine weitere Herausforderung sein – genauso groß wie diejenige, vor der ich auf dem Hügelhof stand, als du geboren wurdest, oder als wir zu Artorius’ Dunon gebracht wurden. Wir werden sie meistern. Aber wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Und wir müssen diese eiternde Wunde zwischen uns aufstechen. Denk daran, dass ich dich vor dem Sachsen gerettet habe. Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Ja, du hast mich vor dem Sachsen gerettet. Aber das ist lange her und weit weg. Ich weiß nicht, was seitdem mit dir geschehen ist, Mutter. Ich weiß nicht, was aus dir geworden ist.«
»Brica…«
»Ich bin deine Tochter, dein einziges Kind«, sagte Brica tonlos. »Ich bin die Zukunft für dich. Dein ein und alles. So sollte es sein. Und vielleicht war es auch einmal so. Aber du, du hast mein Leben zerstört, Stück für Stück. Du hast mich erst von Bran getrennt und dann von Galba, der mich glücklich gemacht hat und mit dem ich Kinder haben wollte. Und dann hast du mich an dieses Schwein von einem negotiator verkauft.«
Regina verzog das Gesicht. Sie hatte ihrer Tochter nie erzählt, dass auch sie selbst von Ceawlin benutzt worden war. »Ich hatte keine andere Wahl.«
»Man hat immer eine Wahl. Ich glaube, deine Seele ist gestorben. Oder dein Herz.«
Regina packte sie am Kinn und versuchte, ihren Kopf zu sich zu drehen. »Es reicht. Schau mich an.«
Brica wehrte sich, aber sie hatte nie die Körperkraft ihrer Mutter besessen. Schließlich gab sie nach und schaute ihrer Mutter ins Gesicht, und die Blicke ihrer rauchgrauen Augen begegneten sich.
»Glaubst du, du bist die Einzige, die Opfer gebracht hat?«, fragte Regina. »Du bist mir kostbar – sehr kostbar sogar. Wenn ich dich vor Schaden bewahren könnte, würde ich es tun. Aber es gibt noch etwas Kostbareres, nämlich die Familie. Wären wir in Britannien geblieben, während Artorius sich beim Posieren auf den Schlachtfeldern Europas töten lässt, hätten wir ihn nicht lange überlebt. Und wenn du Galba geheiratet hättest, wären eure Kinder Bauern geworden, ihr Verstand hätte sich im Dreck aufgelöst, und binnen zwei, drei Generationen hätten sie nichts mehr davon gewusst, was sie einmal gewesen waren.«
»Aber sie würden existieren«, fuhr Brica sie an. »Meine Kinder. Es war meine Entscheidung, Mutter, nicht deine.« Sie wandte das Gesicht ab. »Und jetzt suchst du nach deiner eigenen Mutter, die dich vor all diesen Jahren verlassen hat. Ob sie noch am Leben ist oder nicht, du bist egoistisch und morbid. Deine Beziehung zu deiner Mutter ist nicht mehr wichtig. Du bist nicht wichtig. Das Einzige, was zählt, bin ich, denn meine Gebärmutter ist noch nicht trocken wie deine. Die Zukunft gehört mir.«
»Nein. Die Zukunft gehört der Familie.« Und selbst du, mein schönes Kind, dachte Regina traurig, bist nur ein Kanal in diese Zukunft.
Reginas Entschlossenheit war stark, klar und ungetrübt. Aber sie gestand sich ein, dass die eiserne Kälte sie erschreckte, die ihr von Brica entgegenschlug. Es war, als hätten die jüngsten Ereignisse das Leben und die Wärme aus ihr herausgepresst – und ihr Verhältnis zu ihrer Mutter von Grund auf zerstört. Nun, ein lebenslanger Kampf mit Brica würde hart sein, aber Regina war an Härten gewöhnt und auch daran, sie zu überwinden.
Und Brica kam ja ohnehin nicht von ihr los. Ironischerweise bewirkte die geistige Enge, in der sie im Dunon aufgewachsen war und mit der Regina immer gehadert hatte, dass sie nun, fern der Heimat, verwirrt und hilflos war; Brica konnte Regina nicht verlassen, auch wenn sie es noch so sehr wollte.
Nun wurden sie beide abgelenkt, denn sie näherten sich der Stadt.
Vor ihnen zeichnete sich ein dicker,
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