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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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von beiden Seiten auf sie zu, Pina von links, Rosa von rechts, und packten sie an den Armen. Rosas Miene war starr und wütend, aber Pina sah eher so aus, als bedauerte sie das alles. Sie führten sie hastig zu einer offenen Tür im hinteren Teil des Cafés. Lucia konnte rein gar nichts dagegen tun.
    »Du hast mir versprochen, nichts zu verraten«, sagte Lucia zu Pina.
    »Ich habe gar nichts versprochen. Du hast mich glauben lassen, du wärst über diese alberne Schwärmerei hinweg.«
    »Du bist mir gefolgt.«
    »Ja, ich bin dir gefolgt.«
    Sie traten auf die Straße hinaus, und Lucia wurde in einen Wagen verfrachtet. Sie konnte nicht einmal sehen, ob Daniel sie noch beobachtete. Jetzt würde sie nie mehr erfahren, dachte sie, ob sie zu ihm zurückgekommen wäre.
    »Es war richtig von Pina, mich zu holen«, sagte Rosa. »Ich bin froh, dass jemand noch einen Funken Verstand im Kopf hat.«
    »Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?«, rief Lucia.
    »Nein«, sagte Rosa schlicht.
    »Ich wollte ihn nur sehen. Ich war neugierig.«
    »Wirklich? Neugierig worauf, Lucia? Was hast du denn gedacht, wohin dieses kleine Techtelmechtel führen würde? Schwärmst du wirklich für diesen Jungen, diesen Daniel? Du hast ihn doch gerade erst kennen gelernt. Willst du dich verlieben? Sehnst du dich so nach einer Romanze, dass du einen vollkommen Fremden ansprichst…«
    »Hör auf«, sagte Lucia. Sie wollte das Gesicht in den Händen verbergen.
    Aber Rosa zwang sie, sie anzusehen. »Hör mir zu. Du gehörst zum Orden. Im Orden ist kein Platz für Liebe oder Romanzen. Im Orden zählt nur Tüchtigkeit.«
    Lucia versuchte zu verstehen, was sie sagte. »Tüchtigkeit worin?«
    »In Beziehungen. Bei der Reproduktion. Ich spreche von den Erfordernissen des Überlebens, Lucia. Glaubst du, der Orden wäre so lange bestehen geblieben, wenn er seinen Mitgliedern erlaubt hätte, den willkürlichen Diktaten der Liebe zu folgen?«
    Lucia verstand kein Wort von dem, was sie sagte, aber sie spürte, wie sie ein tiefes Entsetzen beschlich.
    Auch Pina schaute erschrocken drein. »So etwas solltest du nicht sagen, Rosa«, protestierte sie mit dünner Stimme.
    Rosa lehnte sich zurück. »Das ist das letzte Mal, dass ich dich aus der Krypta gelassen habe. Das letzte Mal, hörst du? Und wenn ich dir die Schelle umhängen muss wie einer Katze…«
    Das war ihr letztes Wort. Lucia wandte sich ab.
    Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie die Wärme von Daniels Hand auf ihrer fühlen. Beim Gedanken daran spürte sie eine Hitze in ihren Lippen und Augen, ihre Brüste spannten sich, ihre Haut kribbelte unter den Kleidern, und tief unten in ihrer Magengrube brannte ein Feuer. Trotz der kalten Strenge Rosas, die im düsteren, stillen Innern dieses Wagens neben ihr saß, hatte sie sich noch nie lebendiger gefühlt. Rosa hatte nicht gewonnen.
    Und Lucia hatte immer noch Daniels Karte in ihrer Handtasche.

 
24
     
     
    Als ihre lange Seereise sich dem Ende näherte, standen Regina und Brica trotz der Spannung, die zwischen ihnen herrschte, gemeinsam am Bug des kleinen Schiffes und konnten es kaum erwarten, einen ersten Blick von Italien zu erhaschen.
    Die frühmorgendliche Luft war bereits warm und stickig, und der Salzgeruch des Meeres war fremdartig. Die Besatzung verständigte sich mit heiseren Rufen, während sie ihren verwirrenden Aufgaben nachging und bei der Anfahrt auf die Küste die grünen Segel des Schiffes klarmachte. Es war nur ein kleines Frachtschiff, das Schmuck, feine Tonwaren und andere teure und nur in begrenzten Mengen gehandelte Güter transportierte, und es knarrte, während es auf die Küste zuhielt. Aber für die Frauen, die beide schon eine Ozeanüberquerung aus Britannien hinter sich hatten, war die gezeitenlose Dünung des Mittelmeers nur ein Klacks.
    Brica sah den Leuchtturm als Erste. »Da, schau…« Er ragte über dem Horizont auf, lange bevor das Land selbst in Sicht kam, eine trotzig in die dunstige Luft gereckte Faust aus Mauerwerk und Mörtel. Bald darauf kam eine gewaltige Barriere aus Gussgestein in Sicht, die quer über den Horizont verlief. Das war die Hafenmauer, eine von zwei riesigen, ins Wasser ragenden Molen. Das Schiff steuerte ruhig die Lücke zwischen den Molen an und segelte am Leuchtturm vorbei.
    Der Leuchtturm war mehrere hundert Jahre alt. Er war wie der Hafen selbst von Claudius erbaut worden, dem Kaiser, der Britannien erobert hatte. Doch obwohl seine steinerne Hülle verwittert und geborsten war, ragte er noch so

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