Der Orden
deine Tochter großgezogen, wie du siehst. Später sind wir von den Truppen eines Kriegsherrn namens Artorius überfallen worden. Vielleicht hast von ihm gehört; er ist ehrgeizig. Ich habe mein Leben und das deiner Tochter gerettet, indem ich mit ihm geschlafen habe. Auch diesmal habe ich wieder überlebt.«
Er funkelte sie an. »Ja, du hast überlebt, kleines Huhn«, sagte er kalt. »Und nun bist du hier mit deinen fordernden Blicken und deiner nörgelnden Stimme. Warum hast du deinen barbarischen Kriegsherrn verlassen und bist nach Rom gekommen?«
»Ich will meine Mutter finden.«
Er nickte. »Ich erinnere mich an die Geschichten, die du immer von ihr erzählt hast. Sie muss alt sein – wahrscheinlich ist sie schon tot. Weshalb willst du die Frau finden, die dich im Stich gelassen hat?«
»Weil sie zu meiner Familie gehört. Weil sie mir etwas schuldet. So wie auch du mir etwas schuldest, Amator.«
Er grinste höhnisch. »Und was willst du von mir?«
»Nur wenig«, sagte sie gelassen. »Ich werde Zeit brauchen, um Julia zu finden. Du wirst uns diese Zeit verschaffen. Bring uns irgendwo unter – nicht hier; der Gestank deines Jungen ist mir zu stark. Und gib uns ein wenig Geld.«
»Ich bin nicht so reich, wie du vielleicht glaubst, Regina.«
»Und du hast zweifellos einen teuren Geschmack. Dann gib uns Arbeit. Vielleicht kann Brica in deinem Laden bedienen.« Sie ignorierte Bricas verwirrte Reaktion; mit ihrer Tochter würde sie sich später befassen. »Meine Forderungen werden vernünftig sein – nur das, was ich brauche. Ich bin sicher, wir können uns einigen.«
»Darum also bist du mit deiner rehäugigen Tochter im Schlepptau durch ganz Europa gereist. Erpressung! Wie nett. Und wenn ich mich weigere?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin zäh und beharrlich. Ich werde mich mit deinen Gönnern, anderen equites und deinen Geschäftskontakten in deinen Gilden eingehend über alle Facetten deines Charakters und deiner Vergangenheit unterhalten. Ach, und dein Jüngling – wie heißt er noch gleich, Sulla?«
»Ich habe keinen Grund, mich zu schämen«, fuhr er auf. »Wir sind hier nicht in Britannien, sondern in Rom. Hier geht es anders zu.«
»Dann wird es ihnen ja nichts weiter ausmachen«, sagte sie milde, »wenn ich ihnen erzähle, wie du mir vom ersten Tag an zum Vergnügen den Hof gemacht und mich dann in jener Nacht in Verulamium benutzt hast. Ich frage mich jetzt, ob das etwas mit deiner Vorliebe für Knaben zu tun hatte. Vielleicht widern dich Frauen auf irgendeiner Ebene an, Amator? Vielleicht hast du mich mit Absicht verletzt? Oh, und ich werde ihnen natürlich erzählen, wie du dich vor all diesen Jahren deinen Pflichten gegenüber deinem Kind entzogen und das Leben deines Vaters mit deinem Diebstahl zerstört hast.«
Er beugte sich zu ihr. Seine haarlosen Augenbrauen leuchteten rot. »Du kannst mir nicht schaden, kleines Huhn.«
»Vielleicht nicht. Aber es wird interessant sein, es zu versuchen.«
Er hielt ihren Blick einen langen Moment fest. Sie schwieg und ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihr Herz klopfte – denn wenn er es darauf ankommen ließ, hatte sie keinen Alternativplan.
Aber dann lachte er. »Ich habe dich immer gemocht, Regina. Du hattest Geist und Witz. Es war nicht nur dein knabenhafter kleiner Körper, weißt du.« Er klatschte in die Hände und befahl seinem parfümierten Jüngling, noch mehr Wein zu bringen.
25
Pina gab ihr keinen Rückhalt.
»Du hast doch gekriegt, was du wolltest, oder? Du wolltest deinen contadino. Du wolltest etwas, was sonst niemand hat.«
»Nein, ich…«
»Jetzt bist du anders. Glückwunsch.«
Lucia glaubte, etwas in Pinas Gesicht zu sehen, als sie das sagte, einen ganz leichten Anflug von Reue oder Mitleid. Aber Pina kehrte ihr den Rücken zu, wie alle anderen.
Niemand sprach mit ihr. Nein, es war noch schlimmer. Niemand sah sie auch nur an. Es war, als gingen Wellen der Missbilligung von Rosa und Pina aus, die schließlich jeden erfassten, den Lucia kannte.
Sie wurde nicht körperlich isoliert – das war in der Krypta unmöglich –, aber wohin sie auch ging, sie war allein in der Menge. Im scrinium legte man ihr die Arbeitsaufträge aufs Pult oder schickte sie ihr als unpersönliche E-Mails. Es waren Instruktionen wie für einen Roboter, dachte sie, ein Ding ohne Identität. Im Schlafsaal lösten sich kleine Gesprächsgruppen auf, wenn sie sich näherte. In den Refektorien wandten die anderen sich von ihr ab und
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