Der Orden
gelegt hatte.
Schließlich marschierten die Vandalen mit tausenden von Gefangenen und randvoll mit Beute beladenen Wagen zu ihren Lagern zurück. Regina behielt ihre Schützlinge in ihrer Obhut, bis sie sicher war, dass auch der letzte Vandale verschwunden war.
29
Nur zwei Tage nach Lucias Begegnung mit Giuliano kam Rosa zu ihr. Maria Ludovica war friedlich entschlafen. Und Lucia musste vorbereitet werden.
Es dauerte einen Monat. Dann kam der Tag ihrer endgültigen Einführung.
In einem kleinen Raum tief unten auf der dritten Ebene musste Lucia sich ausziehen. Sie wurde rasch von einer Ärztin untersucht. In den letzten paar Tagen hatte sie bereits eine Unmenge medizinischer Tests über sich ergehen lassen müssen.
Dann wurde sie in ein schlichtes, kittelartiges Kleid namens stola gesteckt. Es war weiß, aber mit einem kleinen, eingenähten purpurnen Stoffstreifen verziert. Das Tuch war sehr weich, und sie fragte sich, wie alt es war. Man nahm ihr die Armbanduhr und den Schmuck ab. Sie durfte keine Unterwäsche tragen; bis auf die stola würde sie nackt sein. Aber sie bekam Ledersandalen, die ihre Füße vor dem kalten Stein schützen sollten. Mit wortlosem Gemurmel flocht Pina Lucias Haare zu einem Zopf und band ihn zu einem Knoten.
Lucia hatte vorher keinerlei Erklärungen bekommen. Sie wusste nicht, was sie an diesem Tag erwartete. Seit Pina sie am Morgen geweckt hatte, verspürte sie eine große Distanz zu sich selbst – als wäre sie eine reine Beobachterin dessen, was mit ihrem Körper geschah, oder als verblasste sie wieder zu jener geisterhaften, unsichtbaren und unwirklichen Gestalt, die sie während ihrer Ächtung geworden war. Sie wollte nur wieder ein Teil des Ordens sein, eine Schwester. Sie wollte sich nicht mit noch mehr Fragen herumschlagen. Sie nahm alles einfach so hin, wie es kam, und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken.
Aber sie war froh, dass Pina da war. Lucia hatte darum gebeten. In dieser seltsamen Zeit würde es tröstlich sein, jemanden in der Nähe zu haben, der sie so gut kannte.
Pina führte sie aus dem hell erleuchteten Umkleideraum in die Dunkelheit hinaus.
Sie folgten einem schmalen, feuchten Gang. Gewölbebögen trugen die Decke – kleine, rote, in dicken Mörtel eingebettete Ziegel, wie man sie in den römischen Ruinen aus der Kaiserzeit sah. Dies war ein sehr alter Ort, dachte sie, wirklich sehr alt.
Sie gelangten zu einem größeren Raum. Es war eine Art Theater, erkannte Lucia, mit erhöhter Bühne, Kammern für Schauspieler und Kulissen und gebogenen Sitzreihen. Es war ein sehr primitiver, mehr oder weniger aus dem rohen Fels gehauener Raum, der nicht mehr als fünfzig Personen aufnehmen konnte. Ein kunstvolles Zeichen zweier sich küssender Fische schmückte eine Wand. Auf der ansonsten leeren Bühne stand ein Liegesofa.
Die Beleuchtung war matt und rauchig und stammte von Lampen in Wandnischen: Lucia roch brennendes Öl. Und es war kalt. Sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen, und ihre Brustwarzen wurden hart und stießen gegen das feine Tuch ihres Hemdkleids. Sie hätte sich gern mit den Händen bedeckt, wusste jedoch, dass es ihr nicht erlaubt war.
Rosa war da und wartete auf sie, ebenso Rosetta, eine von Lucias Schwestern aus ihrer Altersgruppe, und zwei ältere Frauen, die sie nicht kannte. Alle trugen schlichte Gewänder, wie ihre stola. Rosettas Hemdkleid hatte jedoch keinen purpurnen Einsatz, und das rundäugige Mädchen trug Turnschuhe und Socken.
Die älteren Frauen – »älter« bedeutete: vielleicht in Rosas Alter – sahen sie aufmerksam an. Sie spürte Feindseligkeit in ihrem unverwandten Blick, als wäre es ihnen eigentlich nicht recht, dass sie hier war, als hätten sie jemand anderen vorgezogen. Demgegenüber schien Rosa triumphierend zu strahlen. Lucia erinnerte sich an Rosas Worte, sie habe darum kämpfen müssen, dass Lucia als neue mamma akzeptiert wurde. Vielleicht hatten diese beiden Frauen für andere Kandidatinnen gekämpft. Lucia wusste nichts von solchen Auseinandersetzungen. Aber sie war immer noch geschwächt von ihrer Ächtung und scheute vor den unfreundlichen Blicken zurück; sie wollte nicht, dass jemand sie nicht mochte.
Und schließlich saßen zwei sehr alt aussehende Frauen in Rollstühlen. Sie waren in silbrige Hightech-Thermodecken gehüllt, die sehr modern und deplatziert wirkten. Sie waren matres, mamme-nonne – vielleicht sogar älter als Maria Ludovica. Als sie Lucia anstarrten, funkelten ihre
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