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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Augen im Lichtschein der Lampen wie Granitbrocken.
    Rosa kam lächelnd auf sie zu. Sie hielt drei kleine Statuen in der Hand; es waren die winzigen, primitiven Steinfiguren aus der Nische. »Willkommen in deinem neuen Leben, Lucia.«
    Sie wandte sich ab und begann, leise in einer unbekannten Sprache zu reden – es war Latein, erkannte Lucia nach einer Weile. Hin und wieder murmelten die mamme-nonne Antworten. Ihre Stimmen waren so trocken wie welkes Laub.
    Rosa winkte Pina nach vorn. Pina brachte ihr ein kleines, eingeschlagenes weißes Handtuch. Sie faltete es auseinander und legte ein Stück Leinen mit braunen Flecken frei.
    Lucia fuhr zurück.
    Rosa sagte: »Ein paar Tropfen Blut von deiner ersten Periode. Du hast versucht, alles zu vernichten, nicht wahr? Die arme Pina hat lange gebraucht, um es zu finden. Nun, jetzt können wir die Sache beenden.«
    Rosetta brachte eine Lampe. Es war nur ein Docht, der in einem so kleinen Ölgefäß schwamm, dass man es in den hohlen Händen halten konnte. Rosa hielt das Stück Stoff in die Flamme. Es entzündete sich, wellte sich und verschwand.
    Währenddessen intonierten die matres lateinische Worte – dieselben Phrasen, wie es schien, immer und immer wieder.
    Lucia flüsterte Pina zu: »Ich verstehe nicht, was sie sagen.«
    »Dass dein Blut kostbar ist«, erwiderte Pina genauso leise. »Und sie sagen: ›Schwestern sind wichtiger als Töchter. Schwestern sind wichtiger als Töchter‹…«
    »Genau wie im Kindergarten«, flüsterte Lucia und versuchte, ihrer Stimme einen unbeschwerten Klang zu verleihen.
    Pina rang sich ein Lächeln ab. Aber ihre Augen waren groß und ängstlich.
    »Nun ist es so weit«, sagte Rosa. Sie schaute an Lucias Schulter vorbei.
    Giuliano stand auf der Bühne neben dem Sofa. Er trug ein Hemdkleid wie Lucia, und er war barfuß. Er sah sie mit einer Intensität an, die durch sein Lächeln brannte. Und eine Erektion beulte die Vorderseite seines Kittels aus.
    Rosa und Pina nahmen Lucia an der Hand und führten sie zu dem Sofa auf der Bühne. Die anderen sahen zu – Rosetta mit großen Augen, die matres mit ihren Falkenaugen. Pina übersetzte leise ihren lateinischen Singsang: »Dein Blut ist das Blut des Ordens. Es darf nicht mit Wasser vermischt werden. Ich glaube, das heißt, mit dem Blut eines Außenstehenden, eines contadino verdünnt. Dein Blut ist kostbar…«
    Es war wie ein Traum – der rhythmische Singsang, das ungewisse Licht, die uralten, runden Wände des Theaters –, alles war unwirklich, bis auf das Prickeln der Kälte auf ihren Armen. Dennoch fügte sie sich, wie bei jedem vorherigen Schritt.
    Auf der Bühne bat Rosa sie, die Arme zu heben. Mit einer raschen Bewegung zogen ihr Pina und Rosa das Hemdkleid über den Kopf. Jetzt war sie wirklich nackt, und die wenige Wärme, die der Stoff ihr gegeben hatte, war fort.
    Als sie Guilianos Blick begegnete, glaubte sie, Unsicherheit zu sehen. Sie fragte sich, was er dachte, was er wirklich empfand. Doch dann schweifte sein Blick zu ihrem Hals, ihren Brüsten, und sie war wieder allein.
    Sie fügte sich Rosas sanftem Drängen und legte sich auf das Sofa. Es war mit einer dünnen Matratze und einem dicken zinnoberroten Tuch bedeckt, aber das Sofa fühlte sich unter ihrem Rücken hart an, und das Tuch kratzte.
    »Hebe die Arme«, flüsterte Rosa. »Heiße ihn willkommen.«
    Lucia gehorchte.
    Sie schaute durch den Rahmen ihrer weißen Arme, ihrer schlaffen Finger zur Decke hinauf, die vom Rauch der Jahrhunderte verschmutzt war. In diesem Rahmen erschien Giuliano. Sie fühlte seine Hände auf ihren Schenkeln. Sie spreizte die Beine. Er hob sein Hemdkleid und stützte sich mit den Armen zu beiden Seiten ihres Körpers ab. Sein Gesicht senkte sich wie ein fallender Mond auf ihres herab. Sie verschränkte die Arme über seinem Rücken; sie spürte dort dichte Haare.
    Ungebeten tauchte eine Erinnerung an Daniels Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf.
    »Das ist das Ende meines Lebens«, flüsterte sie Giuliano zu.
    Er runzelte die Stirn. »Wir dürfen nicht miteinander reden.«
    »Das Ende aller Wahlmöglichkeiten…«
    »Ich werde vorsichtig sein.« Er beugte sich herunter und küsste sie auf die Lippen. Sie roch Knoblauch und Fisch in seinem heißen Atem.
    Sie besaß immer noch Daniels Visitenkarte, versteckt in einem Winkel ihrer Handtasche.
    Als Giuliano in sie eindrang, tat es schrecklich weh.
     
    Gleich nach der Zeremonie erklärte ihr Rosa, dass sie Giuliano Andreoli nie wiedersehen würde.

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