Der Osmanische Staat 1300-1922
entstanden wesentliche technische Verbesserungen beim
Schiffsbau und der Ausbildung von Militär und Werftpersonal (Gründung einer
Lehranstalt für Mathematik, die 1776 zur Marineschule umgewandelt wurde). An
diesen Maßnahmen hatten zahlreiche ausländische Spezialisten Anteil (Franzosen,
Schweden u. a.). 1800 wurde das erste Trockendock fertiggestellt. Das Dampfschiff-Zeitalter begann frühestens 1827 mit dem Erwerb eines englischen Bootes
durch den Sultan, zufällig im selben Jahr, in dem große Teile der osmanischen
Flotte bei Navarino versenkt wurden. Nach dem Krimkrieg wurde unter Abdülaziz der Bau von gepanzerten Kriegs- und Transportschiffen forciert, doch
konnte man mit der raschen Entwicklung im Westen nicht Schritt halten. England lieferte nunmehr die meisten Panzerschiffe. Die Werften in Istanbul (und nun
auch Izmit) wurden zum Reparaturbetrieb. Nach der notorischen Vernachlässigung unter Abdülhamid II. lieferte Deutschland nach 1908 (veraltete) Panzerschiffe. I)ie Bestellung zweier Schlachtkreuzer aus England wurde am Vorabend des Weltkriegs nicht mehr realisiert.
Piraterie
Der „informelle Seekrieg" beschränkte sich nicht auf die Barbaresken, doch
erreichte in Algier und Tripolis die Piraterie einen Grad von Spezialisierung im
Sinne monokultureller Formen, die auf der Nordseite des Mittelmeers bestenfalls
mit den dalmatinischen Uskoken verglichen werden kann. Der Reichtum Algiers
in seinen beiden Glanzzeiten (1560-70; 1580-1620) beruhte größtenteils auf den
Beutekriegen im Mittelmeer.
Heeresreform ab
Mahmüd 11.
Die Janitscharen hatten 1808 versucht, Mahmüd Il. zu stürzen. Einen erneuten
Aufstand konnte der Sultan mit Hilfe der ihm ergebenen Artillerie unterdrücken.
An die Stelle des 1826 aufgelösten Janitscharen-Korps trat eine modernisierte
Armee, deren Offiziere in Schulen westlichen Typs ausgebildet wurden. In die
letzten Jahre Mahmüd II. fällt die Mission der preußischen Offiziere H. von
Moltke und T. W. H. von Mühlbach (1835-1839). Gleichzeitig mit der Gründung der Kriegsschule (Mekteb-i Harbiye 1834) wurde die Dienstzeit auf 4-5
Jahre herabgesetzt. Das „Ereignis von Kuleli" (1859), das nach der Aburteilung
von Verschwörern in der gleichnamigen Kaserne benannt ist, gilt als der früheste
bekannte „Putschversuch" gegen den Herrscher, an dem sich das reformierte
Militär beteiligte. Nach dem deutsch-französischen Krieg nahm die Vorbildfunktion des preußischen Militärs zu. Die 1887 erfolgte Heeresorganisation
führte zur Neueinteilung in reguläre Truppen (nizämiye), Landwehr bzw. Reserve
(redif) und Landsturm (mustahfiz). Zum Zeitpunkt des osmanisch-griechischen
Kriegs in Thessalien (1897) betrug die Mannschaftsstärke 471620 Soldaten, zu
denen 23273 Offiziere kamen. Eine nach der jungtürkischen Revolution angestrebte technische Modernisierung des Heeres blieb wegen der Kriege auf
dem Balkan und in Afrika in den Anfängen stecken. I)ie Auswirkung der
Liman-von-Sanders-Reformen (1913) auf die große Politik war bedeutender als
im Heer. Das militärische Flugwesen begann 1911 mit der Einrichtung einer
Flugschule. Französische Ausbilder wurden beim Ausbruch des Weltkriegs
durch deutsche Piloten ersetzt.
Flugwesen
G. RELIGION UND RECHTSWESEN
ilmiye
Eine osmanische Schöpfung ist die Ausbildung eines Korps von Medreselehrern
(müderris) und Richtern (kadi), die in ihrer Gesamtheit das sogenannte ilmiye-
System mit einer festen Laufbahnstufung bildeten. Gleichzeitig herrschte ein
„Regionalprinzip", nach dem sich die Laufbahnen in den drei getrennten geographischen Einheiten Rumelien, Anatolien und den arabischen Provinzen
vollzogen. Die bis in die Mitte des 19. Jahrhundert bestehende klassische"
ilmiye kannte eine höhere und eine niedere Laufbahn. Die ranghöchsten Positionen waren die Medrese- und Richterstellen in der Hauptstadt Istanbul. An der
Spitze der ilmiye-Pyramide stand der Scheichülisläm. Sein Amt war aus dem des
Müftüs von Istanbul hervorgegangen, in aller Regel erreichte man es über die
Position eines kadiasker von Anatolien und Rumelien. Angesichts der großen
Entfernungen ließen sich die Richter häufig durch sogenannte nä'ibs vertreten. Da
die hanafitische Rechtsschule die offizielle Doktrin des osmanischen Staates war,
wechselten nicht wenige schafiitische ulemä in Syrien, wo sich die Mehrheit der
Bevölkerung zur $afi`iya bekannten, zur Hanafiya, um innerhalb des osmanischen
ilmiye-Korps
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