Der Osmanische Staat 1300-1922
Das beweisen Gerichtsprotokolle, Urkunden und
Register der Zentralverwaltung. Selbst Bau- und Grabinschriften wurden zunehmend in türkischer Sprache verfaßt. Größere christliche Minderheiten gingen im Laufe der osmanischen Epoche zum Türkischen über. Die als Karamanli
bekannten Orthodoxen Anatoliens bedienten sich bis zu ihrer Umsiedelung nach
Griechenland noch Anfang des 20. Jahrhunderts des Türkischen in Presse, Schule
und teilweise im Gottesdienst. Die armenische Gemeinde kommunizierte im
19. Jahrhundert weitgehend über osmanische Texte in armenischer Schrift.
Gleichzeitig bildeten das arabische und persische Lexikon einen unausschöpflichen Wortvorrat, der von den Autoren in einem Ausmaß genutzt
wurde, daß sich der Anteil türkischer Elemente in einem Satz oft auf wenige
Prozent verringerte. Entsprechend war das Bildungsideal auf die Beherrschung
der „Drei Sprachen" ausgerichtet (zu denen eine weitere Turkisprache, das
nichtoghusische Tschagataisch, treten konnte). In den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts wurde Italienisch ein wichtiges Medium, um mit dem Westen
in Verbindung zu treten. Entsprechend sind viele Bezeichnungen für europäische
Einrichtungen (vgl. gazete, opera, tiyatro) dem Italienischen entlehnt. Der Siegeszug des Französischen begann in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. So
gut wie alle Träger der Reformbewegung hatten Französisch gelernt bzw. Studienaufenthalte in Frankreich verbracht. Mit seinem berühmen „Wörterbuch des
osmanischen Dialekts" (LehVe-i Osmäni) schuf der gelehrte Staatsmann Ahmed
Vefik Pascha (1823-1891) das erste moderne Hilfsmittel für die Erschließung der
türkischen Bestandteil des osmanische Lexions (1876).
Volkstümliche
Literatur
Die gereimte Prophetengeschichte des Süleymän (~elebi (1409) wurde fester
Bestandteil des türkischen Kanons. Die altosmanischen Chroniken (vor allem
Äetk-Paea-Zäde, st. nach 1494) sind Beispiele für die der Umgangssprache nahestehende Prosa des 15. Jahrhunderts. Schwänke wie die um Nasreddin Hoca
sind die bekanntesten Genres der türkischen Volksliteratur. Die Tradition des
„Schattenspiels" (Karagöz) war noch im frühen 20. Jahrhundert lebendig. Über die Jahrhunderte haben volkstümliche Barden wie Yunus Emre oder Karaca Oglan
ihre Beliebtheit nicht eingebüßt.
Die klassische
Literatur
Um sich dem genannten Bildungsideal anzunähern, waren gründliche
Kenntnisse der arabischen Metrik (arüz) ebenso erforderlich wie die Beherrschung der einschlägigen Themen, Metaphern und Topoi. Die Entstehungsräume der osmanischen Literatur - Hof (Diwan-Dichtung), Derwisch-
Konvent (tekye edebiyäti) und volkstümliches Milieu (säz jairleri) - eignen sich
für eine vorläufige Einteilung des riesigen Vermächtnisses. Die großen Exponenten der Diwan-Dichtung entfalteten sich am Hof bzw. in der Nähe der
Herrscher, von denen einige (etwa Süleymän I. mit dem Dichternamen Muhibbi) eine Gedichtsammlung (divän) hinterlassen haben. Der repräsentative
Autor des 16. Jahrhunderts war Bäki (1526-1600). Im 18. Jahrhundert ragen
Namen wie der des Panegyrikers Nedim (st. 1730) und des romantischen Allegorikers Scheich Gälib Dede heraus (st. 1799).
Übergang zur
Moderne
Die Übernahme neuer Genres wie Essay, Kurzgeschichte und Roman erfolgte
sehr zögernd. Noch Ende des 19. Jahrhundert traten Autoren auf, die dem Alten
und Neuen gleichmaßen verpflichtet sind (z. B. Muallim Näci, 1849/50-1893). Das
Dreigestirn der Tanzimat-Dichtung Ziyä Pascha (1829-1880), Ibrähim Sinäsi
(1824?-1871) und der schon als Exilpolitiker genannte Nämik Kemäl (1840-
1884) steht für die neuen Wege in formaler und inhaltlicher Hinsicht.
Die Entstehung des
Romans
Weder die Versepen (mesnevi) der klassischen osmanischen Literatur, die in den
meisten Fällen persische Vorbilder haben, noch die volkstümlichen Erzählungen
(wie Kerem ile Aslz, Tähir ile Zühre, Battal Gazi) mit ihrer Mischung aus Prosa-
und Versteilen, die man singend unter Instrumentenbegleitung vortrug, können als
Vorgänger des türkischen Romans betrachten werden. Dagegen darf $emseddin
Sämis (1850-1904) Taaiiuk-: Talat ve Fitnät („Die Liebe von Talat und Fitnät")
von 1872 durchaus beanspruchen, die erste moderne „romanhafte" Verarbeitung
einer Liebesgeschichte zu sein. Der deutlich frühere Roman Hovsep Vartan
Efendis (Agabi, 1851) wandte sich nur an ein armenisches Publikum. Auch die
beiden wichtigsten
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