Der Osmanische Staat 1300-1922
„Sollbruchstellen" überkreuzten sich mit
sozialen. In der osmanischen Gesellschaft standen zwar steuerlich privilegierte
askeri der Masse der ländlichen und städtischen reäyä gegenüber, doch waren die
askeri keine geschlossene Gruppe, obwohl durch die offizielle Betonung eine
strenge Trennung zwischen beiden Klassen" aufrechterhalten wurde [284: FAROQHI; 513: INALCIK].
Wanderhirten
Zu den türkischen Wanderhirten gibt es zwei Werke als Bestandsaufnahmen:
Den oghusischen Stämmen Anatoliens hat SÜMER zahlreiche, später in einem Buch
vereinigte Studien gewidmet [514]. Die Quellen zu den in militärischen Konskriptionseinheiten zusammengefaßten Jürüken (Yürük) in Südosteuropa hat
GÖKBILGIN z. T. erschlossen [515]. Unter einem sehr weitgefaßten Titel ist eine
Fallstudie zu der pferdezüchtenden Gruppe der At~eken im Raum Akeehir
erschienen, der es um die Beschreibung und Erklärung des Statusverlusts der
Nomaden im Laufe des 16. Jahrhunderts zu tun ist [516: LINDNER]. Eine Analyse der einschlägigen defters hat eine Reihe von LINDNERS Vermutungen allerdings erschüttert [517: BELDICEANU-STEINHERR]. Von der schmerzhaften Ansiedlung von Nomaden berichten zwei historische Monographien [518: ORHONLU; 519: HALA4OCLU]. In der hier angeführten erweiterten Neuauflage des Buches von ORHONLU wird das „tribal managment" der Osmanen vom 16. bis ins
späte 19. Jahrhundert mit mehr oder weniger erfolgreichen Beispielen der Seßhaftmachung illustriert. INALCIK [520] hat auf die frühe Seßhaftigkeit von Jürüken
und ihre Eingliederung in Produktion und Handel (Waldnutzung, Teppiche,
Wolle) hingewiesen und davor gewarnt, die Vorurteile der osmanischen Chronisten auf die Wanderhirten zu übertragen. Studien über die Wanderweidewirtschaft im Raum Aleppo demonstrieren die große Flexibilität der osmanischen Zentrale gegenüber den Stämmen im 18. Jahrhundert [521: MURPHEYI.
Eine ethnographisch orientierte Arbeit zu den Karake~eli genannten Gruppen
bemüht sich, die weltanschaulich geprägten Aussagen der Autoren von dem
Primärmaterial zu trennen, und kommt zu dem Schluß, daß sich für Anatolien
ein „Nebeneinander" tribaler Gruppen ergibt, die zwar denselben Namen führten,
sich aber in Hinblick auf Integrationsgrad und Autonomie, Wirtschaftsweise und
Beziehung zum Staat und anderen Gruppen stark voneinander unterschieden [522:
ÖHRIG]. Eine weitere jüngere Monographie behandelt die Ausbreitung der großen
Türkmenen-Föderation der Bozulus im mittleren und westlichen Anatolien
(1540-1640), auf die schon PLANHOL. [67] aufmerksam gemacht hatte [523:
GUNDUZ].
Bauern
Für die bäuerliche Bevölkerung fehlt ebenfalls eine zusammenfassende Studie,
auch wenn es zur historischen Landwirtschaft in den meisten Gebieten des
osmanischen Staates Untersuchungen gibt. Die Bauern waren im rechtlichen
Sinn frei, Sklaven wurden in der Landwirtschaft nur in Ausnahmefällen eingesetzt. Man macht es sich jedoch zu einfach, wenn man auf die Kadigerichtsbarkeit hinweist und davon absieht, daß Geldstrafen Teil der Ansprüche
des timar- bzw. ze`ämet-Inhabers waren [524: FAROQHI, ausführlich, aber auf das
16. Jahrhundert beschränkt]. Eine größere Abhängigkeit hatten die sog. ortakp,
eine Art Halbpächter in West- und Mittelanatolien. Reispflanzer (Veltüklü) arbeiteten auf staatlichen Domänen. [626: INALCIK]. Die dörfliche Selbstverwaltung
im osmanischen Bulgarien ist Gegenstand eines Buchs von E. GROZDANOVA [525].
Eine Bibliographie zur osmanischen Bevölkerungsgeschichte verzeichnet seit
dem Erscheinen von Ö. L. BARKANS berühmt gewordenem Artikel von 1941 [526]
insgesamt 464 wissenschaftliche Untersuchungen [527: PANZAC]. Ausgangspunkt
für demographische Diskussionen sind in jedem Fall die defter des 16. Jahrhunderts. Die Ermittlung absoluter Bevölkerungszahlen setzt die Festlegung
eines Koeffizienten voraus, um den die Haushaltszahlen (häne) der Steuerregister zu vervielfachen sind. Die meisten Autoren geben die Zahl 4-6 an [z. B.
528: BELDICEANU u. NASTUREL]. Mit dem vieldiskutierten mittelmeerischen
Bevölkerungswachstum haben sich zahlreiche Autoren beschäftigt [529: ERDER]. Die Debatte dreht sich um die Frage, inwieweit die Register einen realen
Anstieg der Bevölkerung spiegeln. Schlüsse auf die Bevölkerungs- bzw. Siedlungsentwicklung zwischen dem 15./16. Jahrhundert und dem 19. Jahrhundert
ohne die Einbeziehung von Zwischenstufen sind aber problematisch [682:
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