Der Osmanische Staat 1300-1922
alle vorausgehenden Werke [wie 582: TABAKOCLU; 583: AKDAC U.
PAMUK; 588: YALC,IN]. Vier Verfasser haben den Stoff chronologisch untereinander
aufgeteilt, wobei bei einem Verhältnis von 600 zu 400 Seiten eine gewisse Privilegierung der „nachklassischen" Jahrhunderte auffällt. Sozialgeschichte im
engeren Sinne wird vor allem in den beiden mittleren Teilen berührt, berücksichtigt aber fast nur die wirtschaftlich aktiven Bevölkerungsteile. Die Autoren
sind der Schwierigkeit nicht ausgewichen, allgemeine Phänomene mit Beispielen
aus weit auseinanderliegenden Räumen zu illustrieren. Das gilt v.a. für McGoWANS Gang durch das 18. Jahrhundert. Alle Beiträge haben in den wirtschaftsgeschichtlichen Kapiteln Schwerpunkte beim Steuersystem, im ländlichen Raum und seinen Produkten und beim Fernhandel. INALCIK und McGoWAN werfen immer wieder Fragen der wirtschaftlichen Doktrin auf, letzterer in
lehrreichen Kontrasten zu absolutistischen Regimen im zeitgenössischen Europa.
Ein umfangreicher Sammelband [631: I5LAMOCLU-INAN] hat sich zum Ziel gesetzt,
die Diskussion über die „Inkorporation" des Osmanischen Reichs in die Weltwirtschaft aus der Perspektive des Wallersteinschen world System zu fördern.
Zugleich erlaubt er aber auch das Verständnis der Hauptthemen der jüngeren
osmanistischen Forschung wie Landwirtschaft, Manufakturwesen, Industrialisierung und Handel.
b) T:marverwaltung und „Feudalismus"-Debatte
Tonar-Wesen
Den einzigen systematischen Zugang zum timar-Wesen nach BARKANS einflußreichen und im Umfang einem Buch entsprechenden Artikel in Isläm Ansiklopedisi [XII/1, 286-333] vermittelt N. BELDICEANU [589]. Bei dem Werk von
MUTAFCIEVA/DIMITROV handelt es sich dagegen um eine zeitlich und räumlich
eingeschränkte Untersuchung aufgrund von Präsenzregistern (yoklama defterleri)
von 1605/6 bzw. 1607/8. Aus ihnen geht ein nicht allzu aussagekräftiger abnehmender Prozentsatz gestellungswilliger sipähis (54%>33%) hervor. Mit BAR KAN und INALCIK und in scharfem Kontrast zur insbesondere in Bulgarien betriebenen marxistischen Forschung [590: MUTAFCIEVA] hebt N. BELDICEANU [5891
die nicht-„feudalen" Elemente des osmanischen Systems hervor. In letzter Instanz
dienten die Timarioten wie die reäyä dem Staat. Schon BARKAN hatte auf den
dienstlichen Charakter des timars hingewiesen. Es ermangele rechtlicher Immunität, hinzu komme eine starke Zentralgewalt, wobei die Bauern keiner Leibeigenschaft unterworfen seien. Die Frage nach dem Ursprung des timar-Wesens ist
eng mit der nach seiner Originalität verbunden. Man hat auf die Ähnlichkeit mit
den im 12. Jahrhundert sichtbar werdenden byzantinischen Militärgütern
(pronoia) aufmerksam gemacht, aber auch auf nahöstliche Formen von Besitzvergabe (igtä`). N. BELDICEANU betonte das Fortleben mongolischer Vorbilder,
insbesondere des Lehenswesen (soyurgal) bei den Akkoyunlu. Es ist hilfreich,
sich auf voneinander unabhängige Linien der osmanischen Autorität zu besinnen. Es gibt eine durch den Kadi repräsentierte religiös-rechtliche und eine
durch den sipahi - sancakbeyi - beylerbeyi vertretene militärisch-administrative
Herrschaft. Die Frage konzentriert sich darauf, ob Steuern und Renten zwei
verschiedene Arten sind, um landwirtschaftliche Einnahmen von den Bauern
abzuschöpfen [732: SINGERI. Im späten 16. Jahrhundert nahm die Zentralgewalt
eine veränderte Stellung bei der Vergabe von timars ein, indem sie die traditionellerweise den beylerbeyis vorbehaltenen Verleihungen selbst vornahm
[591: ROHRBORN.
Derebey
Das timar-System hat an vielen Stellen alte feudale Strukturen beseitigt oder
integriert, doch entstanden nach seinem Zusammenbruch neue lokale Kräfte, die
im Auftrag der Zentrale die Steuerpacht ausübten. Die „Talfürsten" (derebeyi)
bzw. Provinznotabeln (ayän-i viläyet) konnten Kaufleute, Geldverleiher, militärische Befehlshaber oder Landbesitzer sein oder mehrere dieser Funktionen
in sich vereinigen [598: ÖZKAYA]. Sie sind von jenen „warlords" zu trennen, die in
kriegerischen Zeiten bei der Rekrutierung von Truppen herangezogen wurden
[675: McGOWAN]. Unruhen und knappe Kassen, so lautet die These von NAGATA
[596], führten zum Ausbau der lokalen Autonomie verschiedener ayän in Rumelien und Anatolien zwischen 1765 und 1774. Die Zentralregierung drängte ihren
Einfluß durch gegenseitiges Ausspielen der „Fürsten" zurück. Im nördlichen
Albanien war die Familie Bushatlliu/Bu~atli tonangebend.
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