Der Pakt
einmal die stete Furcht vor den Tyrannen hatte solches je bewirkt.
Menschen rannten, flohen, alle einem Ziele zu, und doch konnte auch dieses gemeinsame Ziel ihnen keine Rettung verheißen, nur einen Aufschub vor dem Unausweichlichen bescheren. Von den äußeren Bereichen Mayabs her strömten sie der Mitte ihrer Welt zu, während hinter ihnen das Unfaßbare seinen Lauf nahm.
Der alte Apas - und als alt galt in der Hermetischen Stadt schon einer, der an die vierzig Jahre hatte überleben dürfen - spürte, wie die Panik auch nach ihm greifen wollte. Doch er widerstand ihr, ließ sich nicht forttreiben und mitzerren, und so wirkte er geradezu fremd, wie er ruhig dastand, während der Strom der Menschen um ihn herumfloß. Um Apas und den kleinen Jungen an seiner Seite, den es wohl nur deshalb nicht mitriß, weil er sich an der Hand des Alten festhielt, als sei sie sein ganz eigener Anker in diesem Sturm.
»Wie Vieh wurden sie all die Jahre von den Tyrannen gehalten, und nun führen sie sich auf wie Vieh - rennen ohne Sinn und Verstand. Meinen, sie könnten fliehen - an einem Ort, von dem es nie eine Flucht gab«, sagte Apas leise, wie zu sich selbst.
Die zarten Finger des Jungen krampften sich härter, als man es seiner zierlichen Gestalt zugetraut hätte, um die magere Hand des Alten.
»Wenn es keinen Weg zur Flucht gibt, dann -«, begann er zaghaft und ließ den Rest unausgesprochen. Aber sein Blick sprach Bände, und seine Züge wirkten trotz der lebhaft bunten Bemalung schon jetzt so, als hätte der Tod ihnen alle Kraft genommen.
Apas nickte stumm.
»So wenig weiß ich über meine Heimat«, fuhr der Junge nach einer Weile fort. »Und nun werde ich ihre Geschichte nie erfahren.« Seine Worte und sein Tonfall klangen auf geradezu erschreckende Weise wie die eines greisen Mannes, als wiege ein Jahr in dieser Welt dutzendfach schwerer als draußen, jenseits ihrer Grenze.
»Sieh hin, Ezil«, sagte Apas und wies mit dem Kinn zum Mittelpunkt Mayabs hin, wo sich ein eher unscheinbarer Pyramidenbau erhob. Im Innern aber mußte sich etwas von größter Bedeutung befinden, dem sogar die Tyrannen stets Ehrfurcht gezollt hatten. Worum genau es sich dabei aber handelte, wußte im Volk niemand.
»Was meinst du?« fragte der kleine Ezil. Er mühte sich, zwischen den dahineilenden Menschen hindurchzusehen, um zu erkennen, worauf der Alte ihn aufmerksam machen wollte.
»Siehst du die beiden dort? Den Mann mit der eigenartigen Haut und die Frau, deren Züge so anders sind als die unseren?«
Ezil nickte. »Ja.«
Der Mann und die Frau mit dem kurzen Haar waren eben die Stufen der Pyramide herabgestiegen und standen nun am Fuß der Treppe, das Gewölbe über Mayab betrachtend, als könnten sie nicht fassen, was sie da sahen.
»Was mit unserer Welt geschieht -«, Apas ließ den Blick bedeutungsschwer in die Runde schweifen, »- ist allein deren Schuld. Sie haben das Unheil nach Mayab getragen.«
»Wer sind sie?« wollte der Junge wissen.
»Ich kenne ihre Namen nicht, aber ich spüre, daß sie auf ihre Art schlimmer noch sind, als die Tyrannen es je waren!«
Ezil sah wie gebannt zu dem Paar hin, und in seine Miene trat ein Ausdruck, der an ein witterndes Tier gemahnte.
Nach einer Weile nickte er. »Du hast recht, Apas. Ich - spüre es auch .« Und dann fügte er noch hinzu: »Von welcher Art mögen sie nur sein, daß sie solche Macht entfalten können?«
In Apas' Züge stahl sich ein Ausdruck, als wisse er ganz genau, wovon er sprach.
»Die Wurzel allen Übels.«
*
Die Welt ist ein Schauplatz; du kommst, siehst, gehst vorüber.
Matthias Claudius
Seit Jahrhunderten war er ihr Geliebter. Und nie hatte Nona in all der Zeit Grund gehabt, Landru zu fürchten.
Jetzt aber, in diesem nicht enden wollenden Augenblick, tat sie es. Oder hatte sie nicht Angst vor, sondern um ihn?
Wie versteinert stand der Vampir da. Allein in seinen Zügen war Bewegung, als modellierten unsichtbare Hände in Windeseile immer und immer wieder neuen Ausdruck in die wächserne Haut -stets den von Wut und Enttäuschung, doch jedesmal stärker in seiner Wirkung. Bis Landrus Gesicht nur noch eine Maske war, ver -zerrt und fremd, kaum mehr seinem wahren ähnelnd.
Der flammende Blick seiner Augen war starr emporgerichtet zum Himmel über Mayab, der doch nur scheinbar war. Das wirkliche Himmelszelt nämlich lag jenseits dessen, was sich über die Hermetische Stadt spannte - ein magisches Gewölbe, das Teil der Barriere war, die vor Jahrhunderten
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