Der Pakt
den Landru ihr in die Brust gerammt hatte, getan.
Hatte aus der geheimnisvollen Schrift gelesen und Antworten darin gefunden auf jede Frage, die Landru ihr - oder vielmehr dem Buch selbst - gestellt hatte. Wie ohne ihre Zutun hatten ihre Finger stets die richtige Seite der CHRONIK gefunden. Lilith war gleichsam zum Werkzeug und Sprachrohr dieses mysteriösen Buches geworden ... 3
Ihre Überlegungen stockten.
Hatte sie tatsächlich eine Antwort auf jede von Landrus Fragen gefunden?
Liliths Erinnerung war und blieb unklar in diesem Punkt. Aber sie spürte auf ganz eigenartige Weise, daß dem nicht so war; daß sie nicht jede Frage Landrus hatte beantworten können - weil etwas sie daran gehindert hatte. Nur - was?
Es mußte mit dem zusammenhängen, was sie eben noch als »fremde Kraft« bezeichnet hatte, sann Lilith. Dieses Fremde hatte ihr gewissermaßen den Mund verboten und zugleich dafür gesorgt, daß niemand je wieder die entsprechenden Antworten in der CHRONIK würde finden können. Denn die betreffenden Seiten waren für alle Zeit verloren.
Die anderen Seiten dieser unheimlichen Schrift jedoch -
Lilith vergaß ihr ursprüngliches Vorhaben, Landru und Nona zu folgen. Was immer draußen auch vorgehen mochte, das Nona so alarmiert hatte, daß sie Landru eilends hinzugerufen hatte - Lilith würde es früher oder später schon noch erfahren.
Etwas anderes zu erfahren erschien ihr im Moment dringlicher, und vielleicht würde sich die Möglichkeit später nie wieder ergeben. Ganz gewiß sogar würde die Gelegenheit nie günstiger sein. Denn kehrte Landru erst zurück, würde er die CHRONIK an sich nehmen - und Lilith würde sie nicht noch einmal in die Hände bekommen. Nicht ohne größere Schwierigkeiten zumindest.
Jetzt aber lag das Buch aufgeschlagen vor ihr. Zum Greifen nah.
Und es war nicht vollends zerstört. Der weitaus größte Teil seiner Seiten war nahezu unversehrt geblieben.
Seiten, auf denen die andere Geschichte dieser Welt geschrieben stand. Jene Geschichte, von der kaum ein Mensch wußte, weil menschlicher Geist nicht dafür geschaffen war, sie zu verstehen.
Von Dingen und Geschehnissen war auf diesen Seiten die Rede, die nirgends sonst Erwähnung fanden - und von Wesen wurde da erzählt, die alles andere denn menschlicher Natur waren.
»Von Wesen wie - mir?«
Lilith erschrak fast vor dem Klang ihrer Stimme. Rauh und fremd war sie mit einemmal, kaum noch als die ihre zu erkennen, wie fiebrig zitternd.
Und tatsächlich kam Lilith sich vor wie von Fieber gepackt. Einem ganz besonderen jedoch, einem, das nicht von Krankheit herrührte, sondern seine Ursache in brennender Neugier fand - mehr noch: in etwas, das Neugier bei weitem übertraf.
Lilith kroch auf das Buch zu. Kniete sich hin, wie vor einen Altar. Ihre Finger berührten die aufgeschlagenen Seiten, die, wie sie wußte, aus Menschenhaut gefertigt und mit Blut beschrieben waren. Die Schrift war leicht erhaben, weil die Flüssigkeit nicht gänzlich eingedrungen war.
Was jedoch auf diesen Seiten geschrieben stand, interessierte Lilith nicht. Sie wußte, ohne es lesen zu müssen, daß es sich nicht um das handelte, wonach sie suchte.
»Lilith Eden«, hauchte sie, als wolle sie sich einem Fremden vorstellen, dessen bloße Präsenz sie irritierte und einschüchterte.
Wie von eigenem Leben beseelt, begannen ihre Hände in der Blutbibel zu blättern.
Nichts wies optisch darauf hin, daß es sich um die gesuchte Stelle handelte. Trotzdem fand Lilith sie so zielsicher, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als in diesem Buch zu lesen und sich jede Seite einzuprägen.
Jede Seite ... Das muß unmöglich sein! ging es ihr beiläufig durch den Sinn. Denn die Zahl der Seiten in der CHRONIK schien unendlich groß: Obgleich Lilith längst Dutzende davon umgeschlagen hatte, nahm die Stärke der vorderen Hälfte des Buches nicht sichtlich zu, ebensowenig wie die hintere Hälfte an Dicke abzunehmen schien.
Und dann endlich -!
Lilith hielt inne. In fast andächtiger Geste strich sie über die nunmehr aufgeschlagenen Seiten.
Zeit schien alle Bedeutung zu verlieren.
Wer immer die Worte geschrieben haben mochte, Lilith meinte seine Stimme zu vernehmen - als lese nicht sie selbst aus dem Buch, sondern jener namenlose Schreiber. Fast glaubte sie sogar zu sehen, wie er den Federkiel spitzte und ihn schließlich eintauchte ins lebendige Rot, das ihm als Tinte diente.
Dann schrieb er in ihrer so lebhaften Illusion, und jedes Wort, von dem
Weitere Kostenlose Bücher