Der Pakt der Liebenden
haben.«
»Nein, da hat mehr dahintergesteckt. Kurz bevor ich abgedrückt habe, hab ich gedacht, sie lächelt mich an, so als ob es keine Rolle spielt, ob ich sie erschieße oder nicht. Und dieses Zeug von wegen ›über eure Gesetze erhaben‹. Herrgott, mich hat’s gegruselt.«
»Sie war davon überzeugt, dass sie das getan hatte, was sie tun wollte. Soweit sie wusste, war Caroline tot, und das Baby ebenfalls.«
Jimmy runzelte die Stirn. »Vielleicht«, sagte er, aber es klang nicht so, als ob er es glaubte, und er fragte sich, ob Epstein Will erklärt hatte, inwiefern sie zurückkommen könnten, aber er konnte sich nicht vorstellen, was das heißen sollte, und Will wollte es ihm nicht verraten.
In den folgenden Jahren sprachen sie nur selten über das Thema. Epstein setzte sich weder mit Will noch mit Jimmy in Verbindung, auch wenn Will manchmal meinte, den Rabbi zu sehen, wenn er mit seiner Familie in die Stadt fuhr, um einzukaufen, ins Kino zu gehen oder ein Konzert zu besuchen. Epstein gab sich nie zu erkennen, und Will sprach ihn nicht an, aber er hatte das Gefühl, dass Epstein ihn, seine Frau und vor allem seinen Sohn entweder persönlich oder mit Hilfe anderer im Auge behielt.
Nur selten erzählte Will Jimmy etwas darüber, wie es um die Beziehung zu seiner Frau bestellt war. Sie war nicht über seinen Betrug hinweggekommen, und er wusste, dass es auch nie der Fall sein würde, aber wenigstens waren sie noch zusammen. Doch manchmal war seine Frau ihm gegenüber wochenlang distanziert, sowohl körperlich als auch emotional. Sie tat sich auch mit ihrem Sohn schwer, beziehungsweise »deinem Sohn«, wie sie Will vorhielt, wenn ihr Zorn und Schmerz überhandnahmen. Aber allmählich änderte sich das, denn der Junge kannte keine andere Mutter als sie. Will fand, dass der Wendepunkt kam, als Charlie, der damals acht Jahre alt war, von einem Auto erfasst wurde, als er Radfahren lernte. Elaine war im Garten, als es passierte, und sah, wie das Auto das Rad streift, wie der Junge durch die Luft flog und auf der Straße aufschlug. Als sie losrannte, hörte sie ihn nach ihr schreien – nicht nach seinem Vater, an den er sich bei so vielen Dingen wandte, als wäre das ganz natürlich, sondern nach ihr. Sein linker Arm war gebrochen – das sah sie, als sie bei ihm war –, und Blut strömte aus einer Wunde an seinem Kopf. Er bemühte sich darum, bei Bewusstsein zu bleiben, und irgendetwas sagte ihr, dass er die Augen nicht schließen durfte. Sie rief ein ums andere Mal seinen Namen, als sie die Jacke vom Fahrer des Autos entgegennahm und behutsam unter den Kopf des Jungen schob. Sie weinte, und er sah, dass sie weinte.
»Mami«, sagte er. »Mami, es tut mir leid.«
»Nein«, erwiderte sie. »Mir tut es leid. Es war nicht deine Schuld . Es war nie deine Schuld.«
Und sie blieb bei ihm, kniete neben ihm, flüsterte seinen Namen und streichelte sein Gesicht. Sie saß im Krankenwagen neben ihm, saß vor dem Operationssaal, als man die Wunde an seinem Kopf nähte und seinen Arm richtete, und als er zu sich kam, war sie die Erste, die er sah.
Danach hatten sie ein besseres Verhältnis zueinander.
»Mein Vater hat dir all das erzählt?«
»Nein«, sagte Jimmy. »Sie hat es mir erzählt, nach seinem Tod. Sie hat gesagt, du wärst alles, was ihr von ihm geblieben ist, aber dass sie dich nicht deswegen liebt. Sie hat dich geliebt, weil du ihr Kind warst. Sie war die einzige Mutter, die du gekannt hast, und du warst der einzige Sohn, den sie hatte. Sie hat gesagt, sie hätte das manchmal vergessen oder wollte es nicht glauben, aber im Laufe der Zeit wurde ihr klar, dass es stimmte.«
Er stand auf und ging auf die Toilette. Ich blieb sitzen und dachte an die letzten Tage meiner Mutter, als sie in der Klinik lag und durch die Krankheit so verändert war, dass ich sie nicht erkannt hatte, als ich zum ersten Mal ihr Zimmer betrat, und glaubte, die Schwester hätte einen Fehler gemacht, als sie mich den Flur entlangschickte. Aber dann hob sie im Schlaf kurz die Hand, und trotz der Krankheit kam mir die Anmut dieser Geste vertraut vor, und ich wusste, dass sie es war. In den darauffolgenden Tagen, während ich wartete, dass sie starb, war sie nur ein paar Stunden geistig klar. Sie konnte kaum noch sprechen, und es bereitete ihr anscheinend Schmerzen, deshalb las ich ihr aus meinen Lehrbüchern vor: Gedichte, Kurzgeschichten, Ausschnitte aus der Zeitung, von denen ich wusste, dass sie sie interessierten. Ihr Vater war von
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