Der Pakt der Liebenden
Geschichte über den letzten Tag meines Vaters, das Blut, das er vergossen hatte, und die Gründe dafür.
Nicht mehr viel zu erzählen. Lediglich alles.
Jimmy und Will hielten sich voneinander fern, nachdem Will und Elaine mit ihrem Kind aus Maine zurückgekommen waren, und sprachen mit niemand anderem über das, was sie wussten. Dann, an einem Dezemberabend, betranken sich Jimmy und Will gemeinsam im Chumley’s und im White Horse, und Will dankte Jimmy für alles, was er getan hatte, für seine Loyalität und Freundschaft, wie auch dafür, dass er die Frau getötet hatte, die Caroline ermordet hatte.
»Denkst du noch an sie?«, fragte Jimmy.
»An Caroline?«
»Ja.«
»Manchmal. Öfter sogar.«
»Hast du sie geliebt?«
»Ich weiß es nicht. Wenn nicht damals, dann jetzt. Ist das nachvollziehbar?«
»So gut wie alles andere. Hast du schon mal das Grab besucht?«
»Bloß zweimal seit der Beerdigung.«
Jimmy dachte an die Beerdigung in einer ruhigen Ecke des Bayside Cemetery. Caroline hatte Will erklärt, dass sie nicht viel für religiöse Institutionen übriggehabt habe. Ihre Eltern hatten einer protestantischen Glaubensgemeinschaft angehört, deshalb hatten sie einen Pfarrer bestellt, der eine Ansprache hielt, als sie und das Kind zur letzten Ruhe gebettet wurden. Will, Jimmy und Epstein, der Rabbi, waren die einzigen anderen Trauergäste. Epstein hatte ihnen erklärt, dass der männliche Säugling aus einem der Krankenhäuser in der Stadt stamme. Seine Mutter war ein Junkie gewesen, und das Kind hatte nach der Geburt nur zwei Stunden gelebt. Der Mutter war es egal, ob das Kind tot war, und wenn nicht, ließ sie es sich nicht anmerken. Jimmy war davon überzeugt, dass das später noch kommen würde. Er hielt es für unmöglich, dass eine Mutter, egal wie krank oder zugedröhnt sie auch sein mochte, vom Tod ihres Kindes nicht betroffen war. Bei Elaine waren in aller Stille die Wehen eingeleitet worden, als sie in Maine war. Eine offizielle Beerdigung hatte nicht stattgefunden. Nachdem sie sich entschieden hatte, bei Will zu bleiben und das Kind zu beschützen, das man aus Caroline Carrs Leib geholt hatte, hatte Epstein mit ihr am Telefon gesprochen und ihr zu verstehen gegeben, wie wichtig es sei, dass alle glaubten, Carolines Kind sei ihr eigenes. Man hatte ihr Zeit gelassen, um ihr Baby zu trauern und das kleine, tote Ding in den Armen zu halten, dann hatte man es ihr weggenommen.
»Ich würde ja öfter hingehen, aber das regt Elaine zu sehr auf«, sagte Will.
Ganz bestimmt, dachte Jimmy. Er hatte keine Ahnung, wie ihre Ehe das Ganze überstanden hatte, und aufgrund der Andeutungen, die Will fallenließ, war er sich auch nicht ganz sicher, ob es dabei bleiben würde. Dennoch hatte Jimmy nach allem, was geschehen war, nur noch mehr Hochachtung vor Elaine Parker. Er konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie ihr zumute war, wenn sie ihren Mann und das Kind anschaute, das sie als ihr eigenes aufzog. Er fragte sich, ob sie Hass und Liebe überhaupt noch unterscheiden konnte.
»Ich bringe immer zwei Blumensträuße mit«, sagte Will. »Einen für Caroline und einen für das Kind, das mit ihr begraben wurde. Epstein hat gesagt, das wäre wichtig. Es müsste so aussehen, als ob ich um beide trauere, nur für den Fall.«
»Für welchen Fall?«
»Für den Fall, dass jemand zuschaut.«
»Sie sind tot«, sagte Jimmy. »Du hast sie beide sterben sehen.«
»Epstein meint, es könnte noch andere geben. Und schlimmer noch …«
Er verstummte.
»Was könnte denn schlimmer sein?«, fragte Jimmy.
»Dass sie irgendwie zurückkommen könnten.«
»Was soll das heißen, zurückkommen?«
»Spielt keine Rolle. Die Phantasien eines Rabbis.«
»Herrgott. Phantasien trifft es genau.«
Jimmy hob die Hand, um eine weitere Runde zu bestellen.
»Und die Frau, die ich erschossen habe? Was haben sie mit der gemacht?«
»Sie haben die Leiche verbrannt und die Asche verstreut. Weißt du, im Nachhinein hätte ich gerne ein paar Takte mit ihr geredet, bevor sie gestorben ist.«
»Damit du sie hättest fragen können, warum«, sagte Jimmy.
»Ja.«
»Sie hätte dir nichts gesagt. Ich hab es ihr an den Augen angesehen. Und –«
»Weiter.«
»Es klingt sonderbar.«
Will lachte. »Kann denn nach allem, was wir durchgemacht haben, noch irgendwas sonderbar klingen?«
»Vermutlich nicht.«
»Also?«
»Sie hatte keine Angst vor dem Tod.«
»Sie war eine Fanatikerin. Fanatiker sind zu verrückt, um Angst zu
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