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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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genauso, wie es Susan Parker gemacht haben musste, als sie in die Küche zurückgeschleift worden war. Der Flur war nur teilweise mit Teppichboden ausgelegt, so dass die Kanten der Dielen auf beiden Seiten freilagen. Hier irgendwo hatte Susan ihre Fingernägel verloren.
    War ihre Tochter inzwischen schon tot gewesen, oder hatte der Anblick ihrer blutenden und benommenen Mutter den Schock ausgelöst, der zu Jennifers Tod führte? Vielleicht hatte sie gekämpft, um ihre Mutter zu retten. Ja, so war es wahrscheinlich, dachte Mickey, der bereits mit der vielversprechendsten Schilderung, der ­packendsten Version der Story beschäftigt war. An den Handgelenken und Knöcheln des Kindes waren Strangmarken gewesen, was darauf hindeutete, dass es irgendwann gefesselt worden war. Jennifer war aufgewacht, hatte begriffen, was vor sich ging, versucht zu schreien und sich zu wehren. Sie hatte einen Schlag erhalten, der sie zu Boden streckte – genau diese Verletzung hatte man bei der Autopsie festgestellt. Sobald ihre Mutter überwältigt war, hatte der Mörder das Kind gefesselt, aber inzwischen lag das Mädchen schon im Sterben. Mickey warf einen Blick ins Wohnzimmer, in dem jetzt nur Staub, weggeworfenes Papier und tote Insekten ­herumlagen. Ein weiteres Foto, diesmal von der Couch. Eine Puppe lag darauf, halb von einer Decke verborgen.
    Mickey ging weiter und versuchte sich den Tatort so vorzustellen, wie Parker ihn gesehen hatte. Blut an den Wänden und am Boden, die Küchentür fast geschlossen, das Haus kalt. Er holte tief Luft und wandte sich dem letzten Foto zu: Susan Parker auf einem Kiefernholzstuhl, die Arme auf den Rücken gefesselt, die Füße an die beiden Vorderbeine gebunden, den Kopf gesenkt, das Gesicht von den Haaren verdeckt, so dass die Verletzungen im Gesicht und an den Augen nicht zu sehen waren, nicht aus diesem Blickwinkel. Ihre Tochter lag quer auf ihren Oberschenkeln. An ihr war nicht so viel Blut. Der Mörder hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, genau wie der Mutter, aber da war Jennifer schon tot gewesen. Licht fiel durch etwas, das auf den ersten Blick wie ein dünner Mantel aussah, der über Susan Parkers Arm hing, aber Mickey wusste, dass es ihre Haut war, die ihr der Mörder abgezogen hatte, um die makabre Pietà zu vervollständigen.
    Mit diesem Bild im Kopf öffnete Mickey die Küchentür, bereit, diese alte Vorstellung von der Hölle auf den leeren Raum zu übertragen. Doch das Zimmer war nicht leer. Die Hintertür war halb offen, und im Schatten dahinter stand eine Gestalt und betrachtete ihn.
    Mickey torkelte erschrocken zurück und griff sich unwillkürlich ans Herz.
    »Herrgott«, sagte er. »Was –«
    Die Gestalt setzte sich in Bewegung und wurde vom Mondlicht erfasst.
    »Einen Moment«, sagte Mickey, als ihm der letzte Sand seines Lebens durch die Finger rann, ohne dass er sich dessen bewusst war. »Ich kenne Sie …«

22
    Jimmy war auf Kaffee umgestiegen, den er mit einem Glas Brandy aufpulverte. Ich blieb beim Kaffee, rührte ihn aber kaum an. Ich versuchte festzustellen, wie mir zumute war, aber zunächst war da nur Benommenheit, die allmählich in eine Art Traurigkeit und Einsamkeit überging. Ich dachte an all das, was meine Eltern durchgemacht hatten, an die Lügen und den Betrug meines Vaters, den Schmerz meiner Mutter. Im Moment bedauerte ich nur, dass sie nicht mehr für mich da waren, dass ich nicht zu ihnen gehen und ihnen sagen konnte, dass ich Verständnis für sie hätte, dass alles okay sei. Ich fragte mich, ob und falls sie mir die Begleitumstände meiner Geburt erzählt hätten, wenn sie lange genug gelebt hätten, und erkannte, dass die näheren Einzelheiten schwerer zu ertragen gewesen wären, wenn sie von ihnen gekommen wären, und meine Reaktion heftiger ausgefallen wäre. Als ich in Jimmy Gallaghers vom Kerzenschein erleuchteter Küche saß und zusah, wie sich seine vom Wein geröteten Lippen bewegten, hatte ich das Gefühl, als hörte ich der Lebensgeschichte eines anderen Mannes zu, mit dem ich gewisse Eigenschaften gemeinsam hatte, der mir aber letztlich doch fremd war.
    Mit jedem Wort, das er sprach, schien Jimmy gelöster zu werden, aber auch älter, obwohl mir klar war, dass es nur am Licht lag. Er hatte sein Leben lang Geheimnisse gewahrt, und jetzt, da er sie preisgab, gab er auch etwas von seiner Lebenskraft preis.
    Er trank einen Schluck Brandy. »Wie schon gesagt, es gibt nicht mehr viel zu erzählen.«
    Nicht mehr viel zu erzählen. Nur die

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