Der Pakt der Liebenden
ich nur so lange am Apparat gewesen, wie es nötig war, um ein Treffen zu verabreden. Vorsichtshalber hatte ich bereits den Akku aus meinem Handy genommen und mir in einer Drogerie vorübergehend ein Ersatzgerät besorgt.
Ich kaufte mir in der Bäckerei nebenan ein paar Gebäckstücke, dann begab ich mich wieder in das Apartment. Der Vermieter saß auf einem Sessel rechts vom Wohnzimmerfenster. Er reinigte eine SIG -Pistole, was Vermieter für gewöhnlich nicht in den Apartments ihrer Mieter machen, es sei denn, bei dem betreffenden Vermieter handelt es sich zufällig um Louis.
»Und?«, sagte er.
»Ich treffe mich heute Abend mit ihm.«
»Soll ich dir Gesellschaft leisten?«
»Ein zweiter Schatten könnte nicht schaden.«
»Ist das eine rassistische Bemerkung?«
»Weiß ich nicht. Singst du Minstrel-Songs?«
»Nee, aber ich habe dir eine Knarre mitgebracht.« Er griff in eine Ledertasche und warf eine kleine Pistole auf die Couch.
Ich zog die Waffe aus dem Holster. Sie war etwa sieben Zoll lang und wog nicht einmal ein Kilo.
»Kimbert Ultra Ten Two«, sagte Louis. »Kastenmagazin mit zehn Schuss. Die hintere Kante des Griffs ist scharf, also pass auf.«
Ich schob die Knarre wieder ins Holster und reichte es ihm.
»Soll das ein Witz sein?«, sagte er.
»Nein, ganz und gar nicht. Ich will meinen Waffenschein zurückkriegen. Wenn ich mit einer nicht registrierten Schusswaffe geschnappt werde, bin ich erledigt. Die ziehen mir bei lebendigem Leib die Haut ab und schmeißen die Überreste ins Meer.«
Angel kam aus der Küche. Er hatte eine Kaffeekanne in der Hand.
»Meinst du, derjenige, der Wallace umgebracht hat, hat ihn gefoltert, um seinen Musikgeschmack zu erfahren?«, sagte er. »Er wurde mit dem Messer traktiert, damit er alles verrät, was er über dich rausgekriegt hat.«
»Das wissen wir nicht hundertprozentig.«
»Yeah, weil wir ja auch nicht hundertprozentig über die Evolution Bescheid wissen, beziehungsweise über den Klimawandel oder die Schwerkraft. Er wurde in deinem alten Haus umgebracht, als er Nachforschungen über dich angestellt hat, und dann hat jemand mit Blut sein Zeichen hinterlassen. Dürfte nicht lange dauern, bis jemand versucht, mit dir das Gleiche zu machen wie mit Wallace.«
»Deswegen bleibt Louis heute Abend bei mir.«
»Yeah«, sagte Louis, »denn wenn ich mit einer Knarre geschnappt werde, geht das klar. Schwarze werden nicht wegen illegalem Waffenbesitz belangt.«
»Das hab ich auch gehört«, sagte Angel. »Ich glaube, es geht da um Selbstverteidigung, ein Verbrechen unter Brüdern sozusagen.«
Er nahm die Tüte mit dem Gebäck, riss sie auf und stellte sie auf den kleinen, verschrammten Beistelltisch. Dann goss er mir eine Tasse Kaffee ein und setzte sich neben Louis, worauf ich ihnen alles erzählte, was ich von Jimmy Gallagher erfahren hatte.
Das Orensanz Center hatte sich nicht verändert, seit ich vor ein paar Jahren zum letzten Mal dort gewesen war. Es beherrschte immer noch diesen Abschnitt der Norfolk Street zwischen East Houston und Stanton Street, ein neugotischer Bau, von Alexander Seltzer im neunzehnten Jahrhundert für deutsch-jüdische Einwanderer nach dem Vorbild des Kölner Doms und inspiriert durch die deutsche Romantik entworfen. Seinerzeit war es als Anshei Cheshed bekannt, »Leute der Liebenswürdigkeit«, bevor die Gemeinschaft mit dem Temple Emanuel verschmolz, was wiederum mit der Umsiedlung der deutschen Juden von Klein-Deutschland im südlichen Manhattan an die Upper East Side zusammenfiel. Ihre Stelle nahmen Juden aus Ost- und Südeuropa ein, worauf die Gegend zu einem dicht besiedelten Labyrinth schmaler Straßen wurde, in dem sich Menschen tummelten, die sowohl gesellschaftlich als auch sprachlich ihre liebe Mühe hatten, mit der Neuen Welt zurechtzukommen. Aus Anshei Cheshed wurde Anshei Slonim, nach einer Stadt in Polen, und dabei blieb es bis in die 1960er Jahre, als das Gebäude zu verfallen drohte, bis es von dem Bildhauer Angel Orensanz gerettet und in ein Kultur- und Bildungszentrum umgewandelt wurde.
Ich wusste nicht, welche Verbindung Rabbi Epstein zum Orensanz Center hatte. Ich wusste nicht, was für eine Position Epstein dort innehatte, aber es war nichts Offizielles, auch wenn er über eine gewisse Macht verfügte. Ich hatte einige der Geheimnisse gesehen, die unter den prachtvollen Innenräumen verborgen waren und von Epstein gehütet wurden.
Als ich eintrat, war nur ein alter Mann da, der den Boden fegte. Er war
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