Der Pakt der Liebenden
Gestalt zu sehen, und ein Duft wehte zu mir hin. Ich blieb oben an der Treppe stehen und hörte ein Geräusch hinter mir, so als ob kleine, bloße Füße über den Teppichboden tappten und ein Kind sein Zimmer verließ und zu seiner Mutter lief, aber es hätten auch nur die Dielen unter meinen Füßen sein können oder eine Ratte, die aus ihrem Unterschlupf unter dem Boden gescheucht wurde.
Ich ging hinunter.
Am Fuß der Treppe stand ein Weihnachtsstern auf einem kleinen Mahagonitisch, wo er durch die Garderobe vor der Zugluft geschützt war. Es war die einzige Zimmerpflanze, die Susan und ich durchgebracht hatten, und sie war unheimlich stolz darauf gewesen, hatte jeden Tag nach ihr geschaut und sie sorgfältig gegossen, damit sie nicht verdorrte. An dem Abend, an dem sie starb, war sie umgeworfen worden, und das Erste, was ich sah, als ich das Haus betrat, waren die Wurzeln gewesen, die inmitten der verstreuten Erde lagen. Jetzt sah sie wieder so aus wie immer, gepflegt und geliebt. Ich streckte die Hand nach ihr aus und ließ die Finger durch die Blätter gleiten.
Ein Mann stand in der Küche, ganz in der Nähe der Hintertür. Als ich hinschaute, trat er einen Schritt vor, und das Mondlicht, das durchs Fenster drang, fiel auf sein Gesicht.
Hansen. Seine Hände steckten in den Taschen seines Mantels.
»Sie sind weit weg von zu Hause, Detective«, sagte ich.
»Und Sie konnten sich von Ihrem nicht fernhalten«, erwiderte er. »Muss sich seither sehr verändert haben.«
»Nein«, sagte ich. »Es hat sich überhaupt nicht verändert.«
Er wirkte verdutzt.
»Sie sind ein seltsamer Mann. Aus Ihnen bin ich nie schlau geworden.«
»Tja, jetzt weiß ich, warum Sie mich nicht leiden konnten.«
Aber als ich die Worte aussprach, spürte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. So sollte es nicht sein. Hansen gehörte nicht hierher.
Irritiert verzog er das Gesicht, als wäre ihm gerade das Gleiche klargeworden. Sein Körper straffte sich, als hätte er Rückenschmerzen. Er öffnete den Mund, und ein Blutfaden sickerte heraus. Er hustete, worauf noch mehr Blut kam, eine ganze Wolke, die an die Wand spritzte, als er nach vorn gestoßen wurde und auf die Knie sank. Er fummelte mit der rechten Hand in der Tasche herum und versuchte seine Waffe zu ziehen, doch die Kraft verließ ihn, und er fiel auf den Bauch, hatte die Augen halb geschlossen, während sein Atem immer flacher wurde.
Der Mann, der ihn angegriffen hatte, trat über ihn hinweg. Er war Mitte zwanzig, sechsundzwanzig, um genau zu sein. Ich wusste es, weil ich ihn eingestellt hatte. Ich hatte im Great Lost Bear mit ihm zusammengearbeitet. Ich hatte gesehen, wie freundlich er zu den Gästen war, hatte miterlebt, wie lässig er mit den Köchen und dem Bedienungspersonal umgegangen war.
Und die ganze Zeit über hatte er sein wahres Wesen verborgen.
»Hallo Gary«, sagte ich. »Oder ist dir ein anderer Name lieber?«
Gary Maser hatte die scharf geschliffene Machete in der einen Hand. In der anderen war eine Knarre.
»Es spielt keine Rolle«, sagte er. »Das sind bloß Namen. Ich hatte schon mehr, als du dir vorstellen kannst.«
»Du bist verblendet«, sagte ich. »Jemand hat dir Lügen eingeflüstert. Du bist ein Niemand. Du hast Jimmy gefoltert, und du hast in der Küche da hinten Mickey Wallace umgebracht, aber deswegen bist du noch lange nichts Besonderes. Du bist kaum menschlich, aber das heißt nicht, dass du ein Engel bist.«
»Glaub, was du willst«, sagte er. »Darauf kommt es nicht an.«
Aber meine Worte kamen mir hohl vor. Ich hatte diesen Ort ausgesucht, an dem ich mich dem stellen wollte, was mich gejagt hatte, um es in Gedanken in das zu verwandeln, was es einst war, aber irgendetwas in Gary Maser schien das zu spüren und reagierte darauf. Einen Moment lang sah ich das, was mein Vater an dem Abend in Pearl River gesehen hatte, bevor er abdrückte. Ich sah, was sich in Maser versteckt hatte und ihn auffraß, bis am Ende nicht mehr als eine leere Hülse von ihm übrig war. Sein Gesicht wurde zu einer Maske, durchsichtig und vergänglich – dahinter bewegte sich eine dunkle Masse, alt und verhutzelt und voller Zorn. Schatten umwaberten es wie schwarzer Rauch, verpesteten den Raum und trübten das Mondlicht, und mir wurde klar, dass ich in Lebensgefahr schwebte. Egal, welche Qualen mir Maser in diesem Haus zufügen würde, sie waren gar nichts im Vergleich zu dem, was mich erwartete, wenn ich starb.
Er trat einen weiteren Schritt vor. Selbst im
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