Der Pakt der Liebenden
jetzt, nach all den Jahren? Meine ermordete Frau? Meine tote Tochter? Sie waren gestorben, aber ich hatte zu lange an etwas von ihnen festgehalten, und das wiederum hatte sich in Geistererscheinungen kundgetan, Echos des nächsten Lebens in diesem, und ich brachte es nicht über mich, diese Überbleibsel mit den Namen derer zu bezeichnen, die ich geliebt hatte. Wir suchen uns selbst heim, denke ich manchmal, oder besser gesagt, wir wollen heimgesucht werden. Wenn es ein Loch in unserem Leben gibt, dann wird irgendetwas es füllen. Wir laden es zu uns ein, und es nimmt bereitwillig an.
Ich hatte meinen Frieden mit ihnen geschlossen, dachte ich. Mit Susan, meiner Frau. Mit Jennifer, meiner Tochter. Von mir geliebt, so wie ich von ihnen geliebt wurde.
Susan sagte einmal zu mir, falls Jennifer irgendetwas zustoßen sollte, wenn sie vorzeitig sterben sollte, vor ihrer Mutter, dann sollte ich es ihr nicht erzählen. Ich sollte nicht versuchen, ihr zu erklären, dass ihr Kind tot sei. Das dürfe ich ihr nicht antun. Falls Jennifer sterben sollte, sollte ich Susan töten. Ohne Worte, ohne Warnung. Sie sollte nicht die Zeit haben, mich anzuschauen und zu verstehen, warum. Ich sollte ihr das Leben nehmen, denn sie glaube nicht, dass sie mit dem Verlust ihres Kindes leben könne. Es wäre zu schwer zu ertragen; diesen Schmerz könne sie nicht aushalten. Er würde sie nicht umbringen, nicht gleich, aber er würde sie trotzdem ihres Lebens berauben und nur eine leere Hülse hinterlassen, eine Frau, von der der Kummer widerhallte.
Und sie würde mich hassen. Sie würde mich hassen, weil ich ihr solche Trauer aufbürdete, weil ich sie nicht genug liebte, um ihr das zu ersparen. In ihren Augen wäre ich ein Feigling.
»Versprich es mir«, sagte sie, als ich sie in den Armen hielt. »Versprich mir, dass du es nicht zulässt. Ich will diese Worte niemals hören. Ich will diesen Schmerz nicht erdulden. Ich könnte ihn nicht ertragen. Hast du gehört? Das ist kein Scherz, kein ›was wäre wenn‹. Ich will dein Versprechen, dass ich diesen Schmerz nie ertragen muss.«
Und ich versprach es. Ich wusste, dass ich ihrer Bitte nicht nachkommen konnte, und vielleicht wusste sie es auch, aber ich gab ihr trotzdem das Versprechen. So etwas tun wir für diejenigen, die wir lieben – wir belügen sie, um sie zu beschützen. Nicht jede Wahrheit ist willkommen.
Aber sie hatte nicht bedacht, was geschehen würde, wenn sie mir beide genommen werden würden. Sollte ich mir das Leben nehmen? Sollte ich ihnen an diesen dunklen Ort folgen, ihren Spuren durch die Unterwelt nachgehen, bis ich sie schließlich fand, ein Opfer zu keinem anderen Zweck bringen, als den Verlust zu leugnen? Oder sollte ich weitermachen, und wenn ja, dann wie? Welche Form sollte mein Leben annehmen? Sollte ich allein sterben, den Altar anbeten, an dem ich ihrer gedachte, darauf warten, dass die Zeit das tat, was ich mir nicht antun konnte? Oder sollte ich eine Möglichkeit finden, mit dem Verlust weiterzuleben, zu überleben, ohne die Erinnerung an sie zu verraten? Wie verhalten sich diejenigen, die zurückbleiben, um das Gedenken an die Toten in Ehren zu halten, und wie weit können sie gehen, ohne diese Erinnerung zu verraten?
Ich lebte. Genau das tat ich. Sie wurden mir genommen, aber ich bin geblieben. Ich habe denjenigen gefunden, der sie umgebracht hatte, und habe wiederum ihn umgebracht. Doch es war mir keine Genugtuung. Es linderte den brennenden Schmerz nicht. Es ließ den Verlust nicht leichter ertragen, und es hätte mich fast meine Seele gekostet, sollte ich denn eine Seele haben. Der Kollektor, dieser Verwahrer alter Geheimnisse, hatte mir einst erklärt, dass ich keine hätte, und manchmal neige ich dazu, ihm zu glauben.
Noch immer spüre ich jeden Tag ihren Verlust. Er prägt mich.
Ich bin der Schatten, der von allem geworfen wird, was einst war.
7
Daniel Faraday saß im Kellerzimmer und spürte, wie sein Schmerz allmählich in Wut umschlug. Sein Sohn war seit vier Tagen tot, und sein Leichnam lag noch immer im Leichenschauhaus. Man hatte ihm versichert, dass er am nächsten Tag zur Beerdigung freigegeben würde. Der Polizeichef hatte es ihnen bei seinem Besuch an diesem Nachmittag versprochen.
In den Tagen seit der Entdeckung von Bobbys sterblichen Überresten waren Daniel und seine Frau zu Gespenstern in ihrem eigenen Zuhause geworden, zu Wesen, die nur von Schmerz und Trauer geprägt wurden. Ihr einziger Sohn war tot, und Daniel wusste, dass dies
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