Der Pakt der Schwerter: Historischer Roman (German Edition)
die an der Wand hing und Schlachtszenen darstellte, obwohl ich nicht feststellen konnte, welche Schlacht gemeint war. Es gab Gruppen von Reitern, die mit unter den Armen eingelegten Lanzen angriffen, während ihnen eine Schlachtreihe von Fußsoldaten mit erhobenen Schilden und aufgestellten Speeren gegenüberstand. Aber sie waren es nicht, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen, denn direkt hinter ihnen sah ich eine einsame Gestalt auf einem Hügel stehen. Er hielt sein Schwert vor sich empor, sodass es in den Himmel zeigte; zu seinen beiden Seiten lagen die Leichen von einem Dutzend gepanzerter Männer über dem Hügel verstreut. Ich hatte noch nie eine so feine Nadelarbeit oder so detaillierte Bilder wie hier gesehen.
Und dann bemerkte ich über dem Kopf des Ritters, in gerundeten, ungleichmäßigen Buchstaben gestickt, eine lateinische Beschriftung: » HIC MILES INVICTUS SUPERBE STAT «. Es war lange her, seit ich zum letzten Mal eine Lateinstunde hatte: seit ich zum letzten Mal Bruder Raimonds Hand auf meiner Wange gefühlt hatte, weil ich meine Deklinationen vergessen oder einen Satz falsch übersetzt hatte. Aber der alte Bibliothekar passte jetzt nicht auf mich auf, und es war ohnehin auch kein schwieriger Satz.
»›Hier steht stolz der unbesiegte Ritter‹«, murmelte ich. Ich fuhr mit meinen Fingern über die erhabenen Formen der Buchstaben, wobei ich mich fragte, wie lange es wohl gedauert hatte, auch nur diesen einen Satz zu sticken; wie viele Monate diese Stickerei insgesamt wohl in Anspruch genommen hatte; wie viele Nonnen mit Nadel und Faden hatten zusammenarbeiten müssen. Malet war wirklich reich, wenn er sich so ein Stück leisten konnte.
»Ihr kennt Eure Buchstaben«, sagte Ælfwold erstaunt. Wenige Männer des Schwerts konnten lesen oder schreiben, auch Eudo und Wace nicht, und möglicherweise war ich tatsächlich von allen Rittern in Lord Roberts Gefolge der Einzige mit diesem Können gewesen.
»Als Kind habe ich ein paar Jahre in einem Kloster verbracht«, erwiderte ich. »Bevor ich mich Lord Robert anschloss.«
»Wie alt wart Ihr, als Ihr gegangen seid?«
Ich zögerte. Ich hatte wenigen Menschen etwas über meine Zeit in dem Kloster bei Dinant erzählt; die Einzigen, die davon wussten, waren diejenigen, die mir am nächsten standen. Diese Jahre zählten alles in allem nicht zu meinen glücklichsten, und ich dachte nicht sehr gerne an sie zurück. Dennoch waren es wahrscheinlich glücklichere Zeiten gewesen als diese jetzt.
»Der Sommer, in dem ich floh, war mein vierzehnter«, sagte ich leise.
»Ihr seid geflohen?«
Ich wandte mich ab, wieder dem Bild des Ritters zu. Ich hatte schon mehr gesagt, als ich vorhatte.
»Verzeiht mir«, sagte Ælfwold. »Ich will Euch nicht aushorchen. Ich bin sicher, es geht mich nichts an. Obwohl ich Euch keinen Vorwurf mache, denn ich habe nie viel von Klöstern gehalten, fast so wenig wie von Mönchen. Ich habe es immer für besser gehalten, Gottes Botschaft in der Welt zu verbreiten, als seine Tage in klösterlicher Abgeschiedenheit zu verbringen. Man kann sich so leicht in seinen eigenen Gedanken verlieren und es auf diese Weise versäumen, die Herrlichkeit um uns herum wahrzunehmen. Das ist der Grund, warum ich vor all diesen Jahren beschlossen habe, Priester zu werden, anstatt die Gelübde abzulegen und …«
»Pater Ælfwold!«
Die Stimme drang scharf und deutlich durch den Saal. Ich schaute hoch und sah eine junge Frau mit leichtem Schritt auf uns zukommen. Sie trug einen mit Pelz gesäumten Winterumhang über einem blauen Kleid aus Wolle. Ihr Kopf war von einem Schleier bedeckt, aber ein paar Haarsträhnen schlängelten sich darunter hervor wie Fäden von gesponnenem Gold.
»Pater Ælfwold«, sagte sie mit ausgeglichener, prononcierter Stimme. »Wie gut, Euch zu sehen.«
Der Kaplan lächelte. »Gleichfalls, Mylady. Geht Ihr aus, oder seid Ihr schon draußen gewesen?«
»Ich komme gerade vom Markt zurück.« Dann schaute sie mich an, als wäre ich gerade erst erschienen und sie bemerkte mich zum ersten Mal. »Wer ist das hier?«
Sie hatte feine Gesichtszüge, gepaart mit blassen Wangen und großen Augen, die im Licht glänzten, und ich vermutete, dass sie nicht älter als zwanzig Sommer war. In Wahrheit fand ich es oft schwierig zu beurteilen: Als ich Oswynn kennenlernte, hatte ich sie für älter gehalten, als sie war – wegen ihrer Wildheit, die sie reifer wirken ließ. Erst viel später erfuhr ich, dass sie gerade mal sechzehn Sommer
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