Der Pakt der Wächter: Roman
-, bevor der Summton übernimmt.
Gejagt
USA
1
Es ist Nacht, als ich in Amerika ankomme.
Washington D.C. ist ein unendliches Lichtermeer. Straßen und Gebäude flimmern und blinken. Aus dem Fenster des Flugzeugs sehe ich Millionen von Autoscheinwerfern, die weiße und rote Linien in die Stadtlandschaft malen und gleich darauf wie Sternschnuppen verlöschen. Laura Kocherhans erwartet mich in der Ankunftshalle. Ich hatte keine Ahnung, wie süß sie ist. Sie scheint ihrerseits nicht darauf vorbereitet zu sein, dass ich ein Albino bin. Die meisten Frauen denken bei meinem Anblick an jemanden, der zu lange in der Badewanne gelegen hat. Unsere erste Begegnung gerät zu einem linkischen Wirrwarr aus Umarmung und Krücken.
Vor dem Flughafen duftet die feuchte Dunkelheit nach Abgasen, Nieselregen und einem Hauch von Lauras Parfüm. Wir stehen zehn Minuten in der Taxischlange, bis wir ein Fahrzeug ergattern, das uns auf einer achtspurigen Stadtautobahn in unser Hotel fährt.
Das Hotel ist eine Oase in der Nacht.
Ein Page trägt meinen Koffer von der Rezeption ins Zimmer 3534. Es liegt direkt neben dem, in dem Laura bereits eingecheckt hat.
Wir verabreden uns auf einen Drink in der Hotelbar, nachdem ich ausgepackt und geduscht habe. Laura sitzt schon dort und wartet auf mich, als ich aus dem Fahrstuhl trete. Ihr Anblick raubt mir den Atem. In einem zeitweise abgesperrten, dunklen Teil meines Gehirns denke ich, dass eine Frau genetisch kaum perfekter sein kann. Ich lehne die Krücken an den Bartresen und erklimme den Hocker neben ihr. Etliche Gäste an der Theke starren zu uns herüber, ungläubig. Die Schöne und das Biest . Ich bestelle einen Gin Tonic. Der einzige Drink, dessen Namen ich mir merken kann. Laura trinkt etwas Rotes mit einem Papierschirmchen. Sie informiert mich darüber, dass wir morgen früh einen Termin in der Kongressbibliothek haben.
Einer der Männer hinter dem Tresen glotzt mich an. Wahrscheinlich denkt er gerade darüber nach, wieso eine Frau wie Laura sich mit einem Bleichgesicht wie mir abgibt. Wenn er nicht ein Agent des Scheichs ist, der mich im Auge behalten soll.
Ich räuspere mich und frage Laura, ob sie sich bei ihrer Suche nach der Lewinski-Sammlung irgendwie... na ja, verfolgt gefühlt hat.
Sie lacht. »So dramatisch ist mein Leben leider nicht.«
Ihr Lachen verursacht mir ein Kribbeln.
»Ihnen sind nicht irgendwelche Leute aufgefallen, die Sie mit ihren Blicken verfolgt haben? Über das normale Maß hinaus«, füge ich provozierend hinzu.
»Nein, leider.« Sie kichert. »Oder doch. Ein IT-Spezialist im Reichsarchiv in Berlin. Aber der war gar nicht mein Typ.«
Der Mann, der uns beobachtet, sieht arabisch aus. Er müsste sich dringend mal wieder rasieren. Als unsere Blicke sich zum vierten Mal begegnen, leert er sein Glas und geht.
Auch Laura und ich haben bald alles besprochen. Wir fahren mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. Während wir den langen Flur abschreiten, stelle ich mir vor, wir wären ein Liebespaar auf dem Weg ins Bett.
Zwischen Zimmer 3532 und Zimmer 3534 wünscht Laura mir eine gute Nacht und verabschiedet sich mit einer kurzen Umarmung.
Ich stehe vor dem Fenster meines Hotelzimmers und schaue nach draußen. Kurz darauf lege ich mich unter die straff gespannte Bettdecke. Ich fühle mich wie ein Brief, der in einen etwas zu kleinen Briefumschlag gesteckt wurde.
Es dauert ein paar Stunden, bis ich einschlafe.
2
Als Laura noch in der Library of Congress gearbeitet hat, hatte sie eine gehobene Stellung in der Abteilung für seltene Bücher und Sammlungen – Rare Books and Special Collections Division . Eine ihrer Aufgaben bestand darin, bei der Vervollständigung und Katalogisierung der Kislak-Sammlung mitzuwirken, eine kulturhistorische Sammlung von über viertausend seltenen Büchern, Karten, Dokumenten, Briefen, Bildern und Gegenständen aus Amerikas Geschichte.
Manche Länder halten ihre historischen Sammlungen unter Verschluss. Ganz anders Amerika. Die Kongressbibliothek stellt nicht weniger als zweiundzwanzig Lesesäle für Forscher, Studenten und Interessierte zur Verfügung.
Laura hilft mir durch die Sicherheitskontrolle – wo meine Krücken einige nervenaufreibende Minuten lang als potenzielle Mordwaffen eingestuft werden – und bei der Registrierung im James Madison Memorial Building.
Von dort führt sie mich durch einen unterirdischen Tunnel in einen Lesesaal im Thomas Jefferson Building, der der Independence Hall in
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