Der Pakt der Wächter: Roman
zu dem Land im Westen zu segeln.«
»Dann wurde die Mumie also von Island nach Grönland gebracht und hundert Jahre später von dort weiter in die norwegische Kolonie in Vinland.«
»So sieht es aus.«
2
Um 14 Uhr habe ich einen Termin bei der Ärztin, die den Gips entfernt. Ohne den Verband fühlt sich mein Bein leicht wie eine Feder an. Ich traue mich kaum aufzutreten. Ich bin so schrecklich schmerzempfindlich. Die Ärztin meint, ich sei ein Jammerlappen. Ich weiß nicht, ob sie mich aufziehen will oder es wirklich so meint.
Laura – die SIS-Forscherin, die auf die Suche nach der Sammlung Maximilian von Lewinskis angesetzt wurde – ruft mich am gleichen Nachmittag an. Ich kann ihrer Stimme anhören, wie aufgeregt sie ist. »Ich rufe aus Berlin an. Aus dem Bundesarchiv!«
»Was haben Sie gefunden?«
»Ich glaube, es ist mir endlich gelungen, die Sammlung aufzuspüren!«
»Oh! In Berlin?«
»Nein, nein! Aber hier habe ich die erste Spur gefunden. Ich war in Bonn, Stuttgart, Paris und Warschau...«
»Erzählen Sie!«
»Maximilian von Lewinski muss die Sammlung so sehr am Herzen gelegen haben, dass er kein Risiko eingehen wollte. Er war ein hoher Offizier der Wehrmacht und wird gewusst haben, dass der Krieg unabwendbar ist. Also habe ich mich gefragt, was ich an seiner Stelle getan hätte. Was hätten Sie gemacht, Bjørn?«
»Ich hätte die Sammlung in Sicherheit gebracht. Irgendwo weit weg.«
»Und was wäre der sicherste Ort, den Sie sich um 1930 vorstellen können?«
»Na ja. Ein Land, das vom Krieg nicht tangiert werden würde?«
»Und das trifft...?«
»Auf viele Länder zu...«
»Aber eines bietet sich in diesem Zusammenhang doch wohl besonders an?«
»USA?«
»Die Lewinski-Dynastie hatte bereits einen Brückenkopf in den USA. Maximilian von Lewinskis Bruder emigrierte 1924 in die USA und etablierte sich in Chicago, wo er die amerikanische Industriegesellschaft des Lewinski-Imperiums leitete, die Lewinski Steel Corporation .«
»Haben Sie eine Verbindung gefunden?«
» You bet . Nazideutschland war eine streng durchorganisierte Gesellschaft. Sogar gesellschaftliche Größen wie von Lewinski mussten sich der Bürokratie unterordnen, wenn sie Wertgegenstände außer Landes schaffen wollten. Und so bin ich auf einen Hinweis auf die Sammlung gestoßen. Ich habe die letzten vier Tage im Bundesarchiv verbracht. In den Zollregistern des Jahres 1935, das ironischerweise den Krieg überstanden hat, weil es schon lange vor Kriegsbeginn in einen bombensicheren Bunker ausgelagert wurde, habe ich einen Hinweis auf die Ausfuhrdokumente über Maximilian von Lewinskis Buchsammlung gefunden, die zusammen mit seiner Kunst und diversen Familienerbstücken 1935 außer Landes gebracht worden sind. Nach Chicago!«
»Zu seinem Bruder?«
»Maximilian schickte die Kunstgegenstände und seine Buchsammlung zu seinem Bruder Uwe. Auch wenn nicht explizit von historischen Briefen und Manuskripten die Rede war, könnte ich darauf wetten, dass Maximilian von Lewinski die jüdische Sammlung in seiner reichhaltigen Bibliothek versteckt hat.«
»Ohne dass es jemand entdeckt hat?«
»Das ist nicht weiter verwunderlich. Ein paar tausend Dokumente brauchen nicht so viel Platz. Insbesondere dann nicht, wenn er sie auf Zehntausende von bibliophilen Prachtausgaben verteilt, die in soliden Holzkisten verpackt und mit Holzwolle und Zeitungen gepolstert waren.«
»Existiert die Sammlung noch?«
»Sie existiert nicht bloß. Ich habe auch herausgefunden, wo sie ist. Sie werden mir nicht glauben?«
»Wo?«
»Direkt vor unserer Nase.«
»Wo?«
»Maximilian ist während des Krieges gestorben. Sein Bruder Uwe teilte seine Faszination für Kunst und Bücher nicht. Über sechzig Jahre lang stand diese einzigartige Sammlung originalverpackt bei Uwe von Lewinski! Die Kisten sind nie geöffnet worden! Nach Maximilians Tod hat Uwe das nicht mehr übers Herz gebracht und alle Kisten auf den Dachboden geschafft. Uwe von Lewinski starb 1962, und sein Sohn Albert kam vor einem Jahr bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Kinderlos. Die Erben – eine Unmenge Neffen, Nichten, Cousinen und Vettern – warfen einen flüchtigen Blick in die Kisten mit den alten Büchern und vermachten die Sammlung – und jetzt halten Sie sich fest – der Kongressbibliothek. The Library of Congress! «
Als wir auflegen, klickt es zweimal in der Leitung.
Plötzlich höre ich Lauras Stimme noch einmal – »… mit den alten Büchern und vermachten ...«
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