Der Pakt der Wächter: Roman
Wieder geben wir uns die Hand, und er blickt mir noch einmal in die Augen.
Esteban Rodriquez hat das Haar hinter die Ohren gestrichen. Sein Gesicht ist scharf geschnitten und hat eine intensive Ausstrahlung; er erinnert mich an einen Filmstar aus den Vierzigern, auf dessen Namen ich jetzt nicht komme. Er ist gekleidet, als warte er auf eine Einladung zum Abendessen beim großen Gatsby.
»Ich habe Ihre Unternehmungen verfolgt.« Er hat einen angenehmen Bariton. Und er spricht Englisch mit dem Hauch eines spanischen Akzents. »Sie sind ein hartnäckiger Kampfhund. Ein Terrier. Ein Pitbull. Der, wenn er sich einmal festgebissen hat, nicht wieder loslässt.«
Er schnippt kurz mit den Fingern. Ein Dienstmädchen mit einem Tablett und zwei Gläsern Cognac materialisiert sich aus dem Nichts.
»Ein guter Start in den Tag«, sagt er. Wir heben die Gläser. Der Cognac rinnt kratzig die Kehle hinunter und sammelt sich im Magen.
Rodriquez lässt den Cognac im Glas kreisen und atmet das Bouquet ein. Die Flügel seiner schlanken Nase weiten sich.
»Und Sie?«, frage ich direkt. »Wer sind Sie eigentlich?«
»Wer ich bin...«, antwortet er mit einem neckenden, halb fragenden Ausdruck. »Die meisten Menschen können ihre Ahnen vier oder fünf Generationen zurückverfolgen. Wie viele Menschen wissen etwas über ihre Ururgroßeltern? Ahnenforscher können ihre Vorfahren ein paar hundert Jahre zurückverfolgen. Wenn sie Glück haben, bis ins 16. Jahrhundert. Das älteste, erhaltene Kirchenbuch in Norwegen ist aus dem Jahr 1623. In meiner Bibliothek steht eine Genealogie, in der mein Stammbaum Name um Name bis ins Jahr 930 erfasst worden ist.«
»In Norwegen?«
»Selbstverständlich.«
Ich sehe ihn an. In mir nimmt eine Gewissheit Form an.
Vor dem Fenster streicht eine Brise durch die Baumkronen. Die Blätter heben sich im Wind.
»Ich wurde in der vierten Etage hier in diesem Palast geboren. Meine Mutter war eine kubanische Adelige, weit und breit bekannt für ihre Schönheit und ihre Singstimme. Mein Vater hatte sie auf einem Ball gesehen und ihr durch einen Kurier eine Einladung zum Essen geschickt. Natürlich kam sie. Niemand lehnt eine Einladung in den Miércolespalast ab. Mein Vater war blond, bleich und blauäugig. Meine Mutter hatte nussbraune Augen, pechschwarzes Haar und einen goldenen Teint. Ich habe mich immer gewundert, wieso die Gene meines Vaters sich gegen die meiner Mutter durchgesetzt haben. So war es immer auf der männlichen Seite unserer Familie. Wir haben etwas Widerspenstiges.«
»Sie sind ein Wächter!«
Er trinkt den restlichen Cognac in einem genießerischen Schluck und schließt die Augen, während er frische Luft inhaliert.
»Sie sind der letzte Wächter!«, sage ich.
»Ich habe mir die Freiheit erlaubt, die Rechnung in Ihrem Hotel zu begleichen und Ihre Sachen hierher in den Palast bringen zu lassen. Ich habe Ihnen ein Zimmer im Gästeflügel richten lassen. Ich hoffe, Sie nehmen meine Einladung an?«
»Niemand lehnt eine Einladung in den Miércolespalast ab.«
Wir setzen uns an den Tisch in der Mitte des Saales. Im nächsten Augenblick wimmelt es nur so von Bediensteten, die ofenwarme Brötchen, Marmelade, Rührei und Käse bringen. Als wir uns satt gegessen und den köstlichen, frisch gepressten Orangensaft getrunken haben, führt er mich durch lange Flure in ein Gästezimmer, das größer ist als meine ganze Wohnung in Grefsen. Mein Koffer steht in der Mitten des Raumes. Zwischen zwei Fenstern steht ein Himmelbett, das groß genug für eine Orgie wäre – von der ich nur träumen kann. Es gibt zwei Sitzecken im Louis-Seize-Stil. Toilette, Badezimmer und Garderobe sind in getrennten Räumen untergebracht. Vor den Fenstern zum Park hängen schwere Vorhänge. An einer Wand ist eine ansehnliche Buchsammlung hinter Türen aus geschliffenem Glas eingeschlossen.
Ich schicke Professor Llyleworth eine SMS, wo ich mich befinde. Aus unerfindlichen Gründen kommt die Antwort von Dianes Handy.
Miércolespalast? Lucky you! Wish I was there!
Nach ein paar Minuten antwortet auch Llyleworth:
Fühlen Sie sich privilegiert. Nicht viele Menschen haben den Miércolespalast von innen gesehen. Bitte grüßen Sie mir Esteban. Er ist einer unserer treuesten Spender.
4
Als ich meine Sachen ausgepackt und geduscht habe, nimmt Esteban Rodriquez mich mit zu einer Führung.
»Ich soll Sie von Graham Llyleworth grüßen«, sage ich.
»Vom Professor! Ich habe das SIS mit ein wenig Kleingeld
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