Der Pakt der Wächter: Roman
unterstützt. Ein sympathischer Gentleman.«
Wir wandern über eine Stunde durch Säle, kleine und große Salons und Wohnzimmer, ausgeschmückte Schlafzimmer und Boudoirs; alle verbunden durch ein Labyrinth aus langen, miteinander vernetzten Fluren. Zwischendurch muss ich mich setzen und ein wenig ausruhen. Ich habe schon Blasen an den Händen von meinen Krücken.
Irgendwo im Palast ertönt der Todeskampf einer Klarinette. »Bedaure«, sagt Esteban. »Der Sohn des Zimmermädchens meiner Frau ist in eine Blaskapelle eingetreten.«
Zwei zusammenhängende Ballsäle, jeder in der Größe eines Konzertsaals, sind üppig dekoriert. Wir kommen an einem Musikzimmer mit Steinway-Flügeln, Klavieren, Spinetten, einer Hammond-B 3-Orgel und einer vergoldeten Harfe vorbei. Eine Katze, die sich auf einem der Klavierhocker zusammengerollt hat, bedenkt uns mit einem herablassenden Blick, als wäre sie die Herrscherin der Welt.
Aber das Fantastischste spart Esteban Rodriquez bis zum Schluss auf: die Bibliothek.
Die Bibliothek des Miércolespalastes nimmt den gesamten Westflügel des Komplexes ein. Sie umfasst nicht nur zehntausende Werke aus der Renaissance, dem Barock und der Romantik, sondern darüber hinaus noch tausende Originalmanuskripte über die europäische Entdeckung und Kolonialisierung Amerikas ab dem 16. Jahrhundert. Esteban Rodriquez zeigt mir handgeschriebene Briefe von Christoph Kolumbus an Königin Isabella, geistliche Prominente und Adelsleute.
»Kommen Sie«, sagt er und führt mich zu einer Vitrine. Unter einer soliden Glasplatte erkenne ich ein Pergament, geschrieben auf einer Tierhaut, die im Laufe der Jahre dunkelbraun geworden ist. »Das ist der Brief eines Überlebenden des Grönlandmassakers. Der Brief sollte mit einer Gruppe Walfänger von Neufundland zurück nach Island gebracht werden, aber der Überbringer wurde von Indianern ermordet, und der Brief landete schließlich im Besitz einer Neusiedlerfamilie. In dem Brief werden der Aufbruch und die Flucht von Grönland geschildert, nachdem die Bruderschaft der Wächter begriffen hatte, dass der Vatikan sie aufgespürt hatte und die Schiffe des päpstlichen Heeres sich der Kolonie näherten.
Mit Mühe lese ich den altnordischen Text:
» Wir suchten Rettung für den heiligen Schatz in dem Land westlich des Horizonts. «
»Das Land westlich des Horizonts«, wiederholt Esteban kaum hörbar.
»USA...«
»Na ja. Bedenken Sie, dass dort Ereignisse geschildert werden, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts stattfanden. Damals existierten weder die USA noch Kanada als Nationen. Die Flüchtlinge von den Siedlungsplätzen an der Ostküste Grönlands folgten der Fahrroute Leif Erikssons und der norwegischen Wikinger; sie umrundeten Grönlands Südspitze, segelten vor der Westküste entlang, kreuzten die Daviesstraße bis Baffin Island und nahmen Kurs nach Süden in Richtung des heutigen Labrador, Neufundland, Nova Scotia, Maine und New Hampshire. Vinland...«
Schweigend betrachten wir das Pergament, während wir uns die strapaziöse Schiffsfahrt in den eiskalten Gewässern vorstellen.
Fern, kaum hörbar, klagt die Klarinette.
»Bjørn. Sie haben auf Island etwas gefunden.«
Ich bin auf einen Schlag hellwach.
Er legt eine Hand auf meine Schulter. »Ein Manuskript – haben Sie es gelesen?«
»Nein.«
»Lassen Sie mich raten – es war ein hebräischer Text mit einer koptischen Übersetzung?«
»Sie sind gut im Raten.«
»Sie ahnen nicht, welche Bedeutung dieses Manuskript hat.«
»Drei Morde. Ein gebrochenes Bein und einen gebrochenen Finger. Fünfzehn Millionen Dollar wurden geboten. Doch, ich habe eine gewisse Ahnung.«
»Wo befindet es sich?«
»Wir sind dabei, es zu übersetzen.«
»Aber wo?«
Der Nachdruck in der Frage beweist mir, dass er die Antwort tatsächlich nicht kennt.
»An einem sicheren Ort«, sage ich.
5
»Der Grundstein des Miércolespalastes wurde von Bartolomeo Kolumbus gelegt.«
Es ist später Nachmittag. Esteban Rodriquez sitzt zurückgelehnt in einem Korbstuhl auf einer der Terrassen mit Ausblick auf den Park. Er zündet sich eine Zigarre an. Ein Windstoß wirbelt ein paar graue Ascheflocken von der Glut auf. In der Luft hängt der Duft von Mimosen. Eine Seeschwalbe lässt sich auf einer Meeresbrise treiben. Der Gärtner hat die Rasensprenger angestellt, von denen ein feuchter Nebel herüberweht.
»Hier in Santo Domingo haben sich die spanischen Kolonialmächte niedergelassen, als Christoph Kolumbus zum ersten Mal
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