Der Pakt der Wächter: Roman
sollen Wand und Portal von vielen Tonnen Gestein bedeckt werden, auf dass man das Geröll als natürlichen Teil der Grotte ansähe.
Die Sonne wanderte kalt über den Himmel. Auf der Klosterinsel bekamen wir wenig von Olavs Kämpfen mit. Die Winter waren hart. Die Kälte bohrte sich einem wie ein kalter Dolch in den Körper. Ich habe mich nie an den gnadenlosen Frost des Schneelandes gewöhnt. In freien Stunden kopierte ich die heiligen Texte und übersetzte sie ins Koptische. Die Tage vergingen mit Unterricht, Kartenzeichnen, Kontemplation und Ritualen. Draußen in der Barbarei kämpfte Olav darum, seine Landsleute zu seinem neuen Gott zu bekehren. Ich erkannte jetzt, wer Olav war. Er war wahrlich ein heiliger Mann. König Olav war der wiederauferstandene Jesus. In seiner Gestalt war Christus nach tausend Jahren zurückgekehrt, um Gottes Reich auf Erden einzuführen.
Als ich von König Olavs Tod in Stiklestad erfuhr, sandte ich zehn Mönche aus, um den Leichnam zu holen. Die sterbliche Hülle des Königs wurde durch einen anderen Gefallenen ersetzt, der ihm ähnlich sah. Mit einem Schiff wurde der Leichnam die Küste entlang von Nidaros hierher nach Selja gebracht. Ich zeigte den Mönchen, wie die Ägypter ihre Toten balsamieren und behandeln. Umgeben von Mönchen mumif izierte ich Olavs Leichnam und bat sie, so auch mit mir vorzugehen – damit auch ich vor meine Götter treten konnte, wenn ich dieses Leben verließ. Wir bauten einen neuen Sockel in der Grabkammer, damit der König eine gemeinsame Ruhestätte mit DEM HEILIGEN f inden konnte. Gemeinsam sollen sie auferstehen, wenn tausend Jahre vergangen sind.
Als Olav in der Grabkammer lag, bat ich dreiunddreißig der vornehmsten Krieger, Mönche, Bischöfe und Skalden, sich in einem Kreis um König Olav aufzustellen. Ich trug ihnen auf, eine heimliche Garde von WÄCHTERN zu bilden, einen heiligen Orden. Mit ihren Leben sollten sie DEN HEILIGEN beschützen, seine Schriften und Schätze ebenso wie das Geheimnis seiner letzten Grabstätte. Jeder der Wächter verpflichtete sich, in einem ewigen Kreislauf einen würdigen Nachfolger einzuweihen. Ich forderte sie auf, untereinander nur mithilfe von Codes zu kommunizieren, so dass kein Uneingeweihter die Nachrichten lesen konnte. Auf einer magischen Karte von Südnorwegen zeichnete ich die heiligen Symbole ein und erklärte ihnen, dass die Form des Pentagramms den Göttern behagte. Alles ordnete sich der Harmonie des Pentagramms unter und wurde so durch göttliche Kraft geschützt. Und ich sagte zu den WÄCHTERN: Im Laufe der nächsten hundert Jahre müssen vier große Heiligtümer errichtet werden. In jedem dieser Heiligtümer soll, in aller Heimlichkeit, eine Grabkammer errichtet werden. Die Männer, für die diese Grabkammern bestimmt sind, sollen hier auf der Insel ruhen, bis ihre eigenen Gräber fertig sind. Zusammen würden diese fünf Grabkammern einen kraftvollen Bund in der heiligen Form des Pentagramms bilden. Die wichtigste Grabkammer, die auf der Insel, war bereits fertig. In ihr sollten König Olav und DER HEILIGE ruhen. In Trondheim sollten sie eine Kathedrale über Bischof Grimkjels Grab errichten. In Hamar sollen sie eine Domkirche mit einer Grabkammer für Bischof Bernhard bauen. In Tønsberg sollten sie eine Festung mit einer Grabkammer für Bischof Sigurd errichten, und in der Nähe von Bjørgvin sollte ein Kloster gebaut werden mit der Grabkammer für Bischof Rudolf.
Diese Worte sind dir geweiht, großer Amon-Ra, und dir, JAHVE , und dir, Allah.
2
Überwältigt davon, Asims Version der Geschehnisse vor tausend Jahren gelesen zu haben, gebe ich Esteban den Ausdruck zurück.
»Meine Schwester hat diesen Text übersetzt, so gut sie konnte, in den Achtzigern«, sagt er.
»Sie beherrscht Koptisch?«
»Beatriz beherrscht eine Menge ungewöhnliche Dinge.«
»Ich habe noch immer viele Fragen.«
»Das wundert mich nicht.«
»Eine Sache verstehe ich nicht. Warum war Asim König Olav gegenüber so loyal? Er hat nicht versucht zu fliehen. Er hat sich nicht einmal gegen den König gewendet, obgleich dieser ihn entführt und die Grabkammer geplündert hat. Im Gegenteil. Es macht den Eindruck, als hätte Asim irgendwann begonnen, zum König aufzusehen.«
Esteban faltet die Hände vor sich auf dem Tisch. »Mit Asim ist eine Veränderung vorgegangen. Vielleicht auf der Schiffsreise nach Norwegen, vielleicht in Rouen, vielleicht erst im Kloster. König Olav wird mit ihm über seine religiösen
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