Der Pakt der Wächter: Roman
verhindert, als sie mir das alles erzählt hat. Später wollte sie nie wieder darüber reden. Ich weiß nicht, ob es weitergegangen ist oder ob er sie danach in Frieden gelassen hat.«
Ich stütze mein Gesicht auf meine Hände. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Es ist wichtig, dass Sie die Dimension von Estebans Wahnsinn verstehen.«
»Wahnsinn …«
»Sie dürfen sich von seinem psychopathischen Charme nicht täuschen lassen. Er ist durch und durch schlecht.«
Ich frage mich, ob der Konservator vielleicht selbst nicht richtig tickt. Auf jeden Fall kann ich mir Beatriz unmöglich in Estebans Armen vorstellen.
»Esteban hat sehr mächtige Freunde«, sage ich. »Aber wenn das hier vorüber ist, werde ich ihn spüren lassen, dass auch ich die habe.«
»Mein lieber Bjørn.« Er zögert, ehe er fortfährt. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass er vorhat, uns mit dem Leben davonkommen zu lassen?«
Moses
1
In dieser Nacht schlafe ich sehr unruhig.
Ich hocke auf dem kalten, nassen Steinboden, den Rücken an der harten Wand. Meine Träume und Ängste verknoten sich. In regelmäßigen Abständen schrecke ich aus dem Schlaf, starre in die kühle Finsternis und schnappe nach Luft. Ein Hypnosetherapeut hat mir einmal beigebracht, meine klaustrophobischen Panikattacken zu bezähmen, indem ich meine ganze Konzentration nach innen richte und meinen Puls beruhige. Drei, zwei, eins … Ich werde eins mit meinem Atem. Aber das ist alles andere als einfach.
Zwischendurch höre ich Krallen über den Boden huschen. Ich stelle mir vor, dass über meinem Kopf ein Baldachin aus Spinnenweben hängt, in dem riesige, fette Spinnen nur darauf lauern, dass sich eine Ratte in ihren klebrigen Netzen verfängt. Wenn ich versuche, mich in den Schlaf zu flüchten, werde ich immer wieder von kleinen Stromstößen in meinem Körper geweckt.
Ich höre das leise, schleifende Schnarchen des Konservators. Hat er mir die Wahrheit gesagt? Oder hat Esteban ihn in die Zelle gesperrt, um mich hinters Licht zu führen? Haben der Konservator, Beatriz und Esteban eine Verschwörung gebildet? Ist der Konservator vielleicht der Irre, der Beatriz missbraucht hat? Und wie konnte ich mich nur so fürchterlich in Beatriz täuschen? Wie konnte ich mich in eine Frau verknallen, die nicht weniger korrupt und kaltblütig ist als ihr Bruder?
Im Halbschlaf träume ich davon, ein Wächter zu sein. Einer, der dort weitermacht, wo die Bruderschaft vor fünfhundert Jahren aufgegeben hat. Bjørn Beltø. Der Wächter.
Mein Körper schmerzt. Ich finde einfach keine einigermaßen erträgliche Position.
Ich werde davon geweckt, dass der Konservator an der Wand seine Blase erleichtert, erhebe mich und folge seinem Beispiel.
Danach versuchen wir wieder zu schlafen.
2
Ich weiß nicht, ob es Morgen, Nachmittag oder mitten in der Nacht ist. In der absoluten Dunkelheit hat die Zeit jeden Sinn verloren. Aber trotz der Angst merke ich den nagenden Hunger.
Im Halbschlaf sehe ich Piraten und Sklaven vor mir, die ihre verbleibenden Tage in dieser Zelle verbracht haben. Ich rieche ihren strengen Angstschweiß.
3
»Bjørn?«
»Ja?«
»Wollen wir reden?«
»Wieso?«
»Weil das besser ist, als den Verstand zu verlieren.«
»Und worüber wollen wir reden?«
»Über Moses.«
»Schon wieder?«
»Warum, glauben Sie, hat der Vatikan der Familie Rodriquez ein Vermögen gezahlt, um fünfhundert Jahre lang seine Mumie und die Handschriften zu bewachen?«
»Gute Frage. Wenn es sich bei der Mumie tatsächlich um Moses handelt, hätte der Vatikan doch wohl eher eine Kathedrale zu seinen Ehren gebaut. So wie den Petersdom. Ein Heiligtum für alle Juden, Christen und Muslime der Welt.«
»Nicht wenn Moses ein ganz anderer gewesen ist, als uns die Kirche glauben lassen will. Nicht wenn Moses die Israeliten gar nicht vierzig Jahre durch die Wüste geführt hat. Nicht wenn er ein aufsässiger, illoyaler ägyptischer Prinz war, der sich gegen seinen Vater auflehnte.«
»Das würde ja bedeuten, dass die Darstellung der Bibel gefälscht ist?«
»Nach Mose Tod, so er denn gelebt hat, ist fast ein Jahrtausend vergangen, bis seine Geschichte in den Moses-Büchern zusammengefasst wurde. Tausend Jahre. In tausend Jahren kann sich eine Geschichte schon sehr deutlich verändern, Bjørn. Das ist eine lange Zeit.«
Ich stimme ihm zu. Tausend Jahre sind eine lange Zeit.
4
Menschen, die ihre Sehkraft verlieren, sagen oft, dass dafür die anderen Sinne geschärft werden.
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