Der Pakt der Wächter: Roman
allmächtigen Gott an. Weiter schrieb Manetho, dass ebendieser Priester früher Soldat war – wie Kronprinz Thutmosis – und den Unerwünschten das Kämpfen beibrachte. In der Bibel steht über die Israeliten, dass die Ägypter sich vor ihnen grauten 13 . Manetho schreibt, dass vielen die Flucht in ihre Heimat gelang, als der Priester die Unerwünschten in den Aufstand führte. Sehen Sie die Parallelen? Ein Sklavenaufstand … ein ägyptischer Helfer … die Flucht ins Heimatland …«
»Der Exodus …«
»Genau! Jahrhunderte später wandeln die Schreiber der Bibel diese Erzählung in eine epische, dramatische Geschichte ab über Verrat und Mut, Aufruhr und Flucht – ein Aufbruch zur Wanderung in Gottes gelobtes Land. Die Bibelversion ist natürlich großartiger und stolzer. Eine spektakuläre Massenflucht … Ein Gott, der aktiv in die Geschehnisse auf der Erde eingreift … Ein majestätischer Anführer von Mose Kaliber …«
5
»Heißt das, dass die Mumie im Mausoleum des Miércolespalastes Kronprinz Thutmosis ist?«
»Die Mumie ist der Kronprinz Thutmosis, Sohn von Amenhotep III. und Königin Teje. Das schwarze Schaf der Familie. Der Wildfang und Rebell.«
»Was wurde nach der Flucht der Sklaven aus ihm?«
»Nachdem Kronprinz Thutmosis den israelitischen Sklaven zur Flucht verholfen hatte, kehrte er kühnerweise in den Palast seines Vaters zurück. Heim zu Papa. Na gut. Amenhotep III. war kein sanfter und verständnisvoller Vater. Er verurteilte seinen Sohn zum Tode. Nicht nur, weil dieser sich gegen seine Familie und die ägyptischen Götter aufgelehnt und den Sklaven zur Flucht verholfen hatte, sondern vor allem, weil er seinen Vater, Ägyptens König und Gott, in Unehre gebracht hatte. Und für so etwas gab es keine Vergebung.«
»Er wurde also hingerichtet?«
»Weil er von königlicher Geburt war, blieb ihm eine öffentliche Hinrichtung erspart. Für den Pharao war der Verrat des Sohnes ein Staatsgeheimnis, ein Tabu, eine familiäre Schande. Kronprinz Thutmosis durfte selber wählen, wie er sterben wollte. Er entschied sich für Gift. Nachdem er den Giftbecher geleert und sein Leben ausgehaucht hatte, wurde sein Leichnam balsamiert und mumifiziert. Auch wenn er ein Verräter war, war er doch von königlicher Herkunft und damit göttlich. Aber er durfte nicht in Gesellschaft seiner Vorväter zur letzten Ruhe gebettet werden. Man bestattete ihn deshalb in einer geheimen Grabkammer am Westufer des Nils, außerhalb des Tals der Könige, Königinnen und Prinzen. Hinter zwei anderen Grabkammern wurde er eingemauert und aus der Geschichte gestrichen. Amenhotep III. erklärte ihn für ausradiert. Alle schriftlichen Hinweise auf ihn wurden zerstört und alle Denkmäler dem Boden gleichgemacht.«
»Aber er ist doch nicht in Vergessenheit geraten.«
»Der Prinz hatte zahllose Schriften hinterlassen. Ein Teil der spröden Papyrusmanuskripte liegen hier im Miércolespalast. In ihrer Summe bildeten die Texte den Nährboden für einen neuen Glauben. Die Mitstreiter des Kronprinzen – und das waren viele – vergaßen ihren Anführer nicht. Sie verwahrten seine Schriften und die noch älteren Überlieferungen. Sie studierten seine Ideen und religiösen Visionen. Die Priester ließen sich zu dem allmächtigen Gott bekehren, der die ägyptischen Götter besiegte. So wurde der Kronprinz Thutmosis mit der Zeit zu einem religiösen Anführer. Immer mehr begannen, seinen Gott anzubeten. Ein Zweig entwickelte sich zum Judentum. Ein kleinerer, unauffälligerer Zweig bereitete den Boden für den Amon-Ra-Kult. Die Mumie des Kronprinzen, die sie bewachten, war ihre Gottheit. Visionäre Schreiber fassten die verschiedenen Schriften zusammen und schafften so eine neue, charismatische Hauptfigur, der sie den Namen Moses gaben.«
Der Scheich
1
In der Dunkelheit vergeht die Zeit nur langsam.
Mit dem Konservator diskutiere ich diverse Theorien über Mose und die Geschichte der Wächter. Wie viel wussten sie? Wie viel haben sie verstanden? Wie sehr ist die Geschichte über die Jahrhunderte verändert worden?
Zweimal werde ich geholt, um mit Esteban und Beatriz zu reden. Sie fordern mich auf, ihnen zu verraten, wo sich die Thingvellirrollen befinden. Ich habe Angst, sage aber kein Wort.
2
Als ich das nächste Mal geholt werde, ziehen mir die Wachen eine Kapuze über den Kopf. Sofort bekomme ich panische Angst. Ich hyperventiliere, versuche, mich loszureißen. Schluchze wie ein kleines Kind.
Die Wachen
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