Der Pakt der Wächter: Roman
zerren mich hinter sich her durch den Keller und tragen mich die Treppe hoch und über den langen Flur bis in einen Raum, in dem sie mich mit Kabelbindern an einen Stuhl fesseln.
Ich ringe nach Luft und werfe mich hin und her.
Die Türen schließen sich.
»Helfen Sie mir!«, schreie ich. »Hilfe!«
Mit den Zähnen versuche ich, ein Loch in die Kapuze zu beißen.
»Kein Grund zur Panik«, sagt Esteban. »Der Stoff ist luftig. Er lässt genug Sauerstoff durch.«
»Nehmen Sie mir das Ding ab!«
»Atmen Sie ruhig.«
»Nehmen Sie die Kapuze ab, sage ich!«
»Sie sind schon ein harter Brocken, Bjørn Beltø.«
»Nehmen Sie sie mir ab!«
»Gleich.«
»Ich kriege keine Luft!«
»Nur noch einen Moment.«
»Jetzt!«
»Natürlich bekommen Sie Luft.«
»Bitte! Nehmen Sie sie mir ab! Bitte.«
»Wenn Sie jetzt den Mund halten und mich ausreden lassen, nehme ich Ihnen die Kapuze ab.«
In der warmen Feuchtigkeit der Kapuze versuche ich mich zu beruhigen. Drei, zwei, eins …
»So, ja, so ist es schon besser.«
»Bitte, beeilen Sie sich.«
»Bjørn?«
»Ja.«
»Sie werden dem Scheich begegnen.«
»Scheich Ibrahim?«
»Von Angesicht zu Angesicht.«
So wie ich mir vorstelle, dass Mönche in einer Klosterkapelle die Nähe Gottes spüren, spüre ich jetzt Scheich Ibrahims Anwesenheit. Die Vorstellung seiner bloßen Existenz raubt mir den Atem.
»Dann machen Sie gemeinsame Sache?«
Esteban lacht. »Nun, das kann man so sagen. Es gibt auf der Welt kaum jemanden, der ihn jemals zu Gesicht bekommen hat.«
Ich ringe nach Luft und atme meinen eigenen warmen Atem ein. Indem er mich dem Scheich vorstellt, unterschreibt er mein Todesurteil. So viel ist klar.
Er löst die Schnur an meinem Hals und zieht mir die Kapuze herunter. Ich ziehe die frische Luft ein, während ich in das grelle Licht blinzele und nach dem Scheich Ausschau halte. Ich sehe aber nur Esteban mit der Kapuze in der Hand. Vor dem Fenster ist es dunkel. Eine Wanduhr zeigt halb zwölf. Ich atme tief und schwer. Bin klitschnass geschwitzt.
»Wo ist er?«
»Er ist hier.«
Verwirrt sehe ich mich um. Es sind aber nur wir zwei im Raum.
Esteban sucht meinen Blick.
»Ich«, sagt er, »bin der Scheich.«
3
Ich starre ihn lange an. Warte darauf, dass er vor Lachen losprustet, seinen Spaß zugibt, dass sich die Tür öffnet und Scheich Ibrahim den Raum betritt.
Vielleicht begreife ich aber auch, dass er die Wahrheit sagt.
Esteban umkreist meinen Stuhl.
»Als ich ein kleiner Junge war«, beginnt er, »hat mir mein Vater die Geschichte der Wächter, der Manuskripte und der Mumie erzählt. Seit dieser Zeit dreht sich mein Leben einzig und allein um diese eine Sache: Ich muss Asims Kopie finden. Die Thingvellirrollen. Wie Sie wissen, stehe ich, ebenso wie der Palast, unter dem Schutz des Vatikans. Auch ökonomisch. Mein kleines Projekt muss ich also auf eigene Rechnung betreiben. Ich habe Vaters Besessenheit geerbt und wie er nur ein Ziel: die Manuskriptsammlung im Miércolespalast um die vollwertige Version der Schriften Asims zu komplettieren. Ich habe früh erkannt, dass ich dafür ein Alter Ego brauche. Es wussten viel zu viele Menschen darüber Bescheid, wer ich war. Sie würden beginnen, Fragen zu stellen, wenn ich auf Manuskriptauktionen auftauchte oder in den führenden Antiquariaten, Büchereien und Bibliotheken der Welt herumstöberte. Deshalb erschuf ich den Scheich und ließ ihn einen ganzen Stab von Mitarbeitern einstellen.«
»Warum ausgerechnet ein Scheich?«
»Warum nicht? Ibrahim al-Jamil ibn Zakiyy ibn Abdulaziz al-Filastini. Ein hoch gebildeter, kultivierter, reicher und menschenscheuer Scheich mit Basis in den Vereinten Emiraten. Ein freigebiger Sponsor, Mäzen und Unterstützer, ein Geldgeber und Wohltäter. Als Scheich finanziere ich ganze Universitätsabteilungen und Forschungsinstitute. Mit dem einzigen Ziel, mir Informationen zu beschaffen, die mich zu den Pergamenten führen, die Sie in Thingvellir gefunden haben. Ich habe Forscher und Muskelmänner eingestellt, Wissenschaftler und Antiquare engagiert. Aber ich operiere grundsätzlich nur über Strohmänner. Ohne Ausnahme. Niemand hat den Scheich je persönlich getroffen. Niemand weiß, wer er ist. Nicht einmal meine geliebte Schwester Beatriz ahnt, dass der Scheich und ich ein und dieselbe Person sind. Er hält sich nie länger als eine Woche an einem bestimmten Ort auf. Niemand darf wissen, wo er sich gerade befindet. Der Scheich operiert durch seine Organisation, ein
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