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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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so früh geweckt habe. Er vertraut mir an, dass er seit Jahrzehnten nicht mehr aus einem so spannenden Grund geweckt worden ist.
    Der Gemeindepfarrer Sigmund Skranes ist ein rundlicher, zuvorkommender Mann Anfang sechzig. Er begleitet mich zur Kirche und führt mich herum. Die Stabkirche von Ringebu wurde in der Zeit um 1220 gebaut und legt Zeugnis darüber ab, wie zögerlich die Norweger von ihrem Asenglauben abgelassen und die Erlösung in Christi angenommen haben. Weit oben unter der Decke am oberen Ende einiger Säulen finden sich Reste von gemalten nordischen Göttern.
    Einer der ältesten Gegenstände, der aus der ersten Kirche stammt und wie durch ein Wunder die Jagd der Reformation auf Heiligenbilder überlebt hat, ist eine Figur des heiligen Laurentius. Die schlanke Holzfigur, die links vom Chorraum steht und eine rote Bibel hält, ist so feminin, dass ich sie auf den ersten Blick tatsächlich für eine Frau gehalten habe.
    Auch der Taufstein aus grauem Speckstein stammt noch aus alten Tagen.
    Als Sigmund Skarnes am Ende seiner Führung angelangt ist, frage ich ihn, ob es ihm recht wäre, wenn ich mich auf eigene Faust ein wenig umsehe. Ich gebe vage vor, nach einer versteckten Botschaft zu suchen, die die Kirchenerbauer möglicherweise irgendwo hinterlassen haben. Skarnes zieht sich zurück, um an seiner Predigt für den Sonntag zu arbeiten.
    Ich hole die Tasche mit meiner Ausrüstung aus dem Auto. Eine Digitalkamera, meinen Laptop, ein Vergrößerungsglas, eine starke Taschenlampe. Langsam und methodisch arbeite ich mich durch den Kirchenraum. Die Laurentiusfigur sehe ich mir besonders gründlich an. So ein Heiligtum würde sich natürlich anbieten, geheime Spuren oder Zeichen zu verbergen. Aber ich kann nichts finden, obgleich ich die Figur und auch den Sockel sorgfältig unter die Lupe nehme. Ebenso die rote Bibel. Immerhin wurde in der letzten Botschaft eine Bibel erwähnt.
    Sigmund Skranes wirft zwischendurch einen Blick in die Kirche, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist. »Unser St. Lars scheint Sie ja besonders zu interessieren, wie ich sehe?«
    »Eine hübsche Heiligenfigur.« Im gleichen Augenblick erreichen seine Worte mein Gehirn. »Wie haben Sie ihn genannt?«
    »Also, eigentlich heißt er St. Laurentius. Der heilige Laurentius war im 3. Jahrhundert Schatzmeister und Diakon in Rom. Laut Legende wurde die arme Seele bei lebendigem Leib gegrillt, weil er die Schätze der Kirche an die Armen verteilt hatte. So kann es gehen! Sein Schädel soll immer noch im Vatikan aufbewahrt werden.«
    »Und wieso haben Sie ihn Lars genannt?«
    »So wird er hier in der Gegend genannt. St. Lars.«
    Blättere in Lars’ Bibel, wo die Sonne aufgeht …
    Die Inschrift in Garmo ist ein Hinweis auf St. Laurentius!
    Nachdem sich der Pfarrer in die Sakristei und zur sonntäglichen Verkündigung zurückgezogen hat, umkreise ich St. Lars. Ich fotografiere die Figur mit und ohne Blitz und mit unterschiedlicher Ausleuchtung. Ich mache Nahaufnahmen von seinem Gesicht, dem Gewand, dem roten Stoffstück, das über der linken Hand der Figur liegt, und von der Bibel.
    Blättere in Lars’ Bibel …
    In einer dunklen Ecke lade ich die Bilder auf meinen Laptop und bearbeite die Fotos mit PhotoManipulator Pro . Mit diesem Programm ist es möglich, negativ in positiv umzuwandeln, ultraviolette Strahlen zu simulieren, Kontraste, Größe, Pixelauflösung und Farbwerte zu verändern oder die Farbnuancen, Perspektiven und den Lichteinfall zu bearbeiten. Archäologen und Konservatoren filtern mit diesem Programm Farben heraus, um die ursprünglichen Pinselstriche unter später aufgetragenen Farbschichten sichtbar zu machen.
    Die Fotos von der Bibel sind die reinste digitale Schatzkammer.
    Unter acht Farbschichten entdecke ich die Konturen einiger Zeichen, doch sie sind so schwach, dass sie schon zum Zeitpunkt, als sie aufgetragen wurden, für das bloße Auge unsichtbar gewesen sein müssen. Ich habe keine Ahnung, was für Tinte der Schreiber benutzt hat – von destilliertem Honig über Zwiebelsaft bis hin zu bearbeitetem Essig oder Urin kann es alles gewesen sein -, jedenfalls ist das Ergebnis eine unsichtbare Schrift, die danach noch übermalt wurde. Um die Buchstaben wieder sichtbar zu machen, mussten sie entweder erwärmt oder mit Entwicklerflüssigkeit bestrichen werden (Absud von Rotkohl, dem bestimmte Chemikalien zugesetzt werden, macht zum Beispiel Essigschrift sichtbar). Oder, wie heutzutage, mithilfe eines avancierten

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