Der Pakt des Seelensammlers (German Edition)
hierher, vor den Kamin. Das wird dem Kleinen guttun.«
»Danke.« Sie setzte sich mit einem leisen Ächzen und rieb sich die Arme. »Mir ist wirklich kalt.«
Und kein Vater in der Nähe. Wirklich erstaunlich, diese Mütter von heute. »Soll ich Ihnen eine Decke bringen, Mrs. ...«
»Larssen«, ergänzte sie. »Mara Larssen. Ich bin auch nicht verheiratet, von daher ist es Miss. Aber nein, es ist schon viel besser, vielen Dank.« Sie lächelte. »Lieb von Ihnen.«
»Wissen Sie bereits, was es wird?«
»Ein Junge. Ich ... ich habe auch schon einen Namen. Robert, nach seinem Vater.« Sie richtete den Blick auf den Boden. »Ich wünschte, er wäre hier.«
»Mein Vater hat meine Mutter verlassen, als ich vier Jahre alt war. Und dann hat mich meine Mutter weggegeben.«
»Robert ... ist tot.«
Das erklärt natürlich auch, warum sie allein hier war. »Es tut mir leid«, sagte John.
»Ich glaube - nein, ich weiß es - es ist eine unglaublich große Herausforderung, ein Kind allein großzuziehen. Und dieses Hotel hier ... es macht mir Angst. Ich hätte niemals herkommen dürfen.«
»Vor was haben Sie Angst, Miss Larssen?«
Sie antwortete nicht gleich. Dann, mit einem kleinen Schulterzucken: »Das ist es ja. Ich weiß nicht einmal genau, vor was ich Angst habe. Die Frau ist gestorben, ja, aber was soll ich glauben? Dass dort draußen wirklich jemand ist, der sie angegriffen hat? Ich weiß einfach nicht. Und dann die Menschen, die anderen Gäste.« John spürte, wie sie sich anspannte. »Ich habe fünf Semester Psychologie studiert. Dann hab' ich's abgebrochen, das spielt aber keine Rolle. Was ich sagen will ... Sie haben bestimmt schon einmal davon gehört, dass Gruppenverhalten in abgeschlossenen Räumen untersucht wurde.«
John konnte sich kaum erinnern. »Vielleicht ein oder zweimal in einer Dokumentation im Fernsehen.«
»Ein radikaler Ansatz besagt, dass Menschen, die über längere Zeit unter schwierigen Bedingungen in einem geschlossenen System eingesperrt sind, früher oder später damit anfangen, sich gegenseitig zu bekämpfen.«
»Bekämpfen? Wie?«
»Zuerst psychologisch. Wortgefechte. Einigen Probanden in diesen Versuchen entsteht der Eindruck, dass sie von den anderen bedroht werden. Selbst kleinste Unstimmigkeiten, oft verursacht durch die minimalsten Probleme, werden als Anlass zu großen Streitsituationen umfunktioniert.«
»Und dann? Was geschieht dann?«
»Im Lauf der Zeit wird diese Bedrohungssituation für alle greifbar. Es entstehen starke egoistische Tendenzen, Selbsterhaltungstrieb, die Reduktion auf ... die innersten, ureigensten Triebe. Die Konflikte bleiben nicht mehr nur psychologisch, sie werden physisch ausgetragen. Kämpfe. Oftmals bis hin zur völligen Eliminierung der Bedrohung. In anderen Worten, das isolierte Subjekt mordet. Sie fallen übereinander her.«
»Ein unschönes Szenario beschrieben Sie da, Miss Larssen.«
»Bis zu einem gewissen Grad wurde dies an Menschen, an freiwilligen Testprobanden nachvollzogen, darüber hin an Tieren.«
»Der Film »Das Experiment«, nicht wahr? Eine ganz ähnliche Situation.«
»Genau. Nur sind die weitergegangen, als jemals ein Labor gehen würde.«
»Woran machen Sie es abhängig, wie schnell dieser Zustand des Bedrohtseins eintritt?«
Mara hob einen Finger. »Zuerst natürlich von der Umgebung. Die Probanden müssen sich von außen bedroht fühlen, es muss an essenziellen Dingen fehlen, die für das Leben notwendig sind. Wärme, Nahrung, Licht. Dazu kommt das Gefühl des Eingeschlossenseins.« Sie hob den dritten Finger. »Natürlich die anderen Personen. Ganz unterschiedliche Charaktere, also folgen daraus ganz unterschiedliche Reaktionen auf einander und die Umwelt. Um es anders auszudrücken: Die einen drehen schneller durch, die anderen langsamer.«
»Und dann gibt es die, die eine Situation wie diese ausnutzen?« John zögerte. »Vielleicht sogar genießen?«
»Durchaus, ja. Gefährlich, diese Einstellung. Oftmals sind diese Personen charakterstark, charismatisch und es gelingt ihnen, die anderen stark zu beeinflussen. Denken Sie an jemanden Bestimmtes?«
»Oh.« John musste lächeln, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem erwischt. »Nein. Selbstverständlich nicht.«
31
»Es ist Zeit, dass wir unser Gespräch führen, Mr. Jones.«
»Miss Reiley, Mr. Carver, wie schön, dass sie beide mich gefunden haben.« Der spöttische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Also gut, dann reden wir«, erwiderte
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