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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Ihnen, im nächsten Frühjahr werden sie zwölfjährige Mädchen gegen uns aufbieten.
    Die russische Jugend ist mir natürlich völlig egal, aber das sagt mir doch, dass ihnen Menschenleben absolut nichts bedeuten.
    Und es erstaunt mich immer wieder, dass die Briten und Amerikaner ein Volk, das bereit ist, zehntausend Frauen und Kinder für das Ausheben eines Panzergrabens zu opfern, als Verbündeten akzeptieren können. Wenn die Briten und Amerikaner ihr Fortbestehen darauf zu gründen bereit sind, dann weiß ich nicht, auf welcher Grundlage sie uns über reguläre Kriegführung belehren zu können meinen.«
    Ribbentrop trank von Himmlers Wein, obwohl er den Sekt, den er in seinem eigenen Waggon getrunken hatte, bei weitem bevorzugte, und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass sich Roosevelt über die wahre Natur der Bestie, mit der er sich da zusammengetan hat, im Klaren ist«, sagte er. »Churchill weiß 37

    wesentlich mehr über die Bolschewiken und sagt, er würde sich selbst mit dem Teufel verbünden, um Deutschland zu besiegen.
    Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Roosevelt wirklich eine Vorstellung von der schrankenlosen Brutalität seines Verbündeten hat.«
    »Aber wir wissen doch zweifelsfrei, dass er über die wahren Verursacher des Massakers von Katyn informiert wurde«, sagte Himmler.
    »Ja, aber hat er es auch geglaubt?«
    »Wieso hätte er es nicht glauben sollen? Die Beweise waren doch unumstößlich. Das Dossier der Wehrmacht-Untersuchungsstelle würde doch selbst den unparteiischsten Beobachter von der Schuld der Russen überzeugen.«
    »Aber genau das ist ja der springende Punkt«, sagte Ribbentrop.
    »Roosevelt ist ja wohl kaum unparteiisch. Da die Russen ihre Schuld stur abstreiten, kann Roosevelt sich dafür entscheiden, seinen eigenen Augen nicht zu trauen. Wenn er dem Dossier geglaubt hätte, hätten wir längst etwas gehört. Das ist die einzige Erklärung.«
    »Ich fürchte, da könnten Sie Recht haben. Die Amerikaner glauben lieber den Russen als uns. Und es ist ja kaum möglich, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Nicht jetzt, wo Smolensk wieder unter russischer Kontrolle ist. Also müssen wir eine andere Möglichkeit finden, die Amerikaner aufzuklären.«
    Himmler nahm eine dicke Akte von seinem Schreibtisch und gab sie Ribbentrop, der bei dieser Gelegenheit bemerkte, dass Himmler zwei Goldringe trug, und sich kurz fragte, ob es zwei Eheringe waren, für jede Frau einer. »Ja, ich glaube, ich werde ihm das hier schicken«, sagte Himmler.
    Ribbentrop setzte seine Lesebrille auf und musterte die Akte.
    »Was ist das?«, fragte er misstrauisch.
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    »Ich nenne es die Beketowka-Akte. Beketowka ist ein sowjetisches Arbeitslager bei Stalingrad, geführt vom NKWD.
    Nach der Niederlage der Sechsten Armee im Februar gerieten etwa eine viertel Million deutsche Soldaten in russische Gefangenschaft und wurden in solchen Lagern inhaftiert.
    Beketowka war das größte.«
    »War?«
    »Die Akte wurde von einem Agenten Generalmajor Gehlens beim NKWD zusammengestellt und ist gerade erst in meine Hände gelangt. Ausgezeichnete Arbeit. Sehr gründlich. Gehlen rekrutiert äußerst tüchtige Leute. Sie enthält Fotos, Zahlenaufstellungen, Augenzeugenberichte. Laut den Lagerbüchern kamen im letzten Februar etwa fünfzigtausend deutsche Soldaten nach Beketowka. Davon sind heute keine fünftausend mehr am Leben.«
    Ribbentrop hörte sich nach Luft schnappen. »Sie scherzen.«
    »In einer solchen Angelegenheit? Wohl kaum. Nur zu, Ribbentrop. Schlagen Sie die Akte auf. Sie werden sie ausgesprochen informativ finden.«
    In der Regel versuchte der Minister, sich von den Berichten, die in der Deutschlandabteilung des Außenministeriums eingingen, fern zu halten. Sie kamen von der SS und dem SD
    und enthielten ausführliche Informationen über den Tod unzähliger Juden in den Vernichtungslagern des Ostens. Aber wenn es um das Schicksal deutscher Soldaten ging, konnte er sich wohl kaum heraushalten, zumal sein eigener Sohn Leutnant der Leibstandarte-SS war und zum Glück noch lebte. Wenn nun sein Sohn bei Stalingrad in Gefangenschaft geraten wäre? Er schlug die Akte auf.
    Ribbentrop sah ein Foto vor sich, das ihn auf den ersten Blick an eine Illustration von Gustave Doré in Miltons Verlorenem Paradies erinnerte. Erst nach ein, zwei Sekunden begriff er, dass das hier keine nackten Körper von Engeln – oder auch nur 39

    Teufeln – waren, sondern Menschen, offensichtlich steif gefroren und sechs,

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