Der Pakt
war ein Mann, den Schellenberg sehr bewunderte. Schellenberg hoffte, Gelegenheit zu finden, Nebe vor einem Gerücht zu warnen, das in Berlin kursierte. Böse Zungen behaupteten, Nebe habe als Kommandeur einer Einsatzgruppe im besetzten Russland nicht nur einen gefälschten Rapport über die Ermordung Tausender Juden geliefert, sondern sogar viele dieser Leute entkommen lassen.
In dieser Hinsicht unangreifbar war hingegen der andere Offizier, Otto Ohlendorf, jetzt Chef des Inlandsnachrichtendienstes und unter anderem für das Sammeln und Verwerten von Berichten über die Stimmung im deutschen Volk zuständig. Die Einsatzgruppe, die Ohlendorf auf der Krim befehligt hatte, galt 52
als eine der erfolgreichsten und hatte über hunderttausend Juden abgeschlachtet.
»Da ist er ja«, sagte Nebe, »unser Benjamin.« Nebe zitierte eine Bemerkung Himmlers über Schellenberg als den jüngsten SS-Offizier im Generalsrang.
»Ich baue darauf, heute Vormittag älter und weiser zu werden«, sagte Schellenberg.
»Dass Sie älter werden, kann ich Ihnen garantieren«, sagte Ohlendorf. »Das letzte Mal, dass ich an einer solchen Veranstaltung teilgenommen habe, war auf der Wewelsburg. Ich glaube, Himmler hat dieses ganze Zeug direkt aus einem Wagner-Libretto entlehnt. ›Vergessen Sie nie, wir sind ein Orden, aus dem man nicht austreten kann und in den man kraft seines Blutes aufgenommen wird.‹ Oder so ähnlich.« Ohlendorf schüttelte seufzend den Kopf.
»Jedenfalls war es ungemein begeisternd. Und lang. Sehr, sehr lang. Wie eine ziemlich langsame Parsifal -Inszenierung.«
»Meine Aufnahme in diesen Orden hatte nichts mit Blut zu tun«, sagte Nebe. »Erst die Folgen.«
»Dieser Ordensquatsch macht mich krank«, sagte Ohlendorf.
»Das hat sich doch alles dieser irre Hildebrandt zusammenphantasiert.« Er deutete mit dem Kinn zu einem weiteren SS-Gruppenführer hinüber, der in ein offenbar ernsthaftes Gespräch mit Oswald Pohl vertieft war. Hildebrandts Behörde, das Rasse- und Siedlungshauptamt, unterstand dem Wirtschaft-Verwaltungshauptamt der SS, dessen Chef Pohl war.
»Mein Gott, ich hasse diesen Kerl.«
»Ich auch«, murmelte Nebe.
»Hasst den nicht jeder?«, bemerkte Schellenberg, der einen besonderen Grund hatte, Hildebrandt zu hassen und zu fürchten: Zu Hildebrandts Hauptaufgaben gehörte es, die Familien von SS-Leuten auf ihre Rassereinheit zu untersuchen. Schellenberg 53
lebte in der ständigen Angst, eine dieser Untersuchungen könnte aufdecken, dass es in seiner Familie mehr als nur einen Juden gab.
»Da ist Müller«, sagte Ohlendorf. »Ich gehe wohl besser mal hin und stelle mich gut mit der Gestapo.« Er deponierte seine Kaffeetasse auf dem Tisch und ließ Nebe und Schellenberg stehen, um selbst mit dem Gestapochef zu sprechen.
Nebe war ein kleiner, zäher Mann mit silbergrauem Haar, einem schmalen Schlitz von Mund und dem hervorstechenden Riecher eines Polizisten. Er sprach breites Berlinerisch.
»Hören Sie gut zu«, sagte Nebe. »Stellen Sie keine Fragen, hören Sie einfach nur zu. Ich weiß, was ich weiß, weil ich bei der Gestapo war, als Diels dort noch Chef war. Und ich habe dort immer noch Freunde, die mir dies und jenes erzählen.
Beispielsweise, dass die Gestapo Sie observiert. Nein, fragen Sie mich nicht, warum, weil ich es nämlich nicht weiß. Hier –«
Nebe zog ein sargförmiges Zigarettenetui heraus, klappte es auf und hielt Schellenberg seine flachen, kleinen Zigaretten hin.
»Nehmen Sie einen Sargnagel.«
»Und ich dachte, ich müsste Sie warnen.«
»Wovor denn?«
»Im RSHA geht das Gerücht, Sie hätten die Zahlen für Ihre Einsatzgruppe in Weißrussland gefälscht.«
»Na und?«, fragte Nebe. »Das haben doch alle gemacht.«
»Aber aus unterschiedlichen Gründen. Es heißt, Sie hätten das Schlachten aufhalten wollen.«
»Was soll man gegen solche Verleumdungen tun? Himmler höchstpersönlich hat mein Operationsgebiet inspiziert, in Minsk.
Mir vorzuwerfen, ich hätte irgendwelchen russischen Juden gegenüber Milde walten lassen, wäre also gleichbedeutend mit der Behauptung, Himmler sei zu dumm, um gemerkt zu haben, dass da etwas faul war. Und das darf ja wohl nicht sein, oder?«
54
Nebe lächelte gelassen und gab sich und Schellenberg Feuer.
»Nein, da bin ich aus dem Schneider, Gerüchte hin oder her.
Aber danke, ich weiß es zu schätzen.« Er zog tief an seiner Zigarette und nickte Schellenberg herzlich zu.
Schellenbergs Gehirn arbeitet fieberhaft. Kurz vor seinem
Weitere Kostenlose Bücher