Der Pakt
Brigadeführer unter dem gefalteten Ledermantel gerade rechtzeitig hervorblitzen ließ.
Einem Mann wie Skorzeny sagte man seine Kritik nicht ins Gesicht, ohne etwas in der Hinterhand zu haben.
Endlich schlief Schellenberg ein. Doch schon um acht Uhr abends wurde er von einem Oberscharführer geweckt, der ihm meldete, Generalfeldmarschall Milch sei eingetroffen und erwarte ihn in der Offiziersbar.
Wie alle, die für Hermann Göring arbeiteten, umgab auch Erhard Milch eine Aura des Reichtums. Klein, untersetzt, mit schütterem, dunklem Haar, wertete er seine wenig bemerkenswerte Erscheinung mit einem goldenen Marschallstab auf, einer kleineren Version des Göring’schen, und als er Schellenberg eine Zigarette aus einem Goldetui und ein Glas Champagner aus der Flasche Taittinger auf dem Tisch anbot, registrierten die scharfen Augen des SD-Mannes eine goldene 64
Glashütte-Armbanduhr und einen goldenen Siegelring an Milchs molligem kleinem Finger.
Wie über Heydrich ging auch über Milch das Gerücht, er habe jüdisches Blut in den Adern. Schellenberg wusste das sogar definitiv. Aber er wusste auch, dass es dank Göring für den Ex-Direktor der Deutschen Lufthansa kein Problem bedeutete.
Göring hatte für seinen ehemaligen Stellvertreter als Reichskommissar für die Deutsche Luftfahrt alle rassischen Probleme aus der Welt geschafft, indem er Milchs arische Mutter überredete, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass ihr jüdischer Mann nicht Erhards leiblicher Vater sei. Das war eine ziemlich verbreitete Praktik im Dritten Reich und ermöglichte es den Behörden, Milch zum Arier zu erklären.
Inzwischen jedoch war das Verhältnis zwischen Göring und Milch abgekühlt, weil Letzterer die Luftwaffe wegen ihrer mangelhaften Leistungen an der russischen Front gerügt hatte.
Göring würde das so leicht nicht vergessen. Aus diesem Grund hieß es auch, Milchs Loyalitäten lägen seit Neuestem bei Rüstungsminister Albert Speer, ein Gerücht, das durch die gemeinsame Ankunft der beiden in Posen nur neue Nahrung erhalten würde.
Beim Champagner erzählte Schellenberg Milch von dem Cicero-Material und kam dann rasch zur Sache: »Ich dachte an eine Wiederbelebung des Unternehmens Franz. Nur dass der Sonderverband in diesem Fall, statt die Nachschublieferungen über die Iran-Irak-Eisenbahn abzuschneiden, den Versuch unternehmen könnte, die Großen Drei zu töten. Wir könnten die Operation doch mit einem Luftangriff koordinieren.«
»Einem Luftangriff?« Milch lachte. »Nicht einmal unsere weitreichendsten Langstreckenbomber würden es dorthin und zurück schaffen. Und selbst wenn es ein paar Bomber tatsächlich dort hinschafften, würden sie von feindlichen Jägern abgeschossen, ehe sie irgendetwas ausrichten könnten. Nein, ich 65
fürchte, darüber müssen Sie noch mal nachdenken, Schellenberg.«
»Es gibt ein Flugzeug, das es schaffen könnte. Die Focke-Wulf 200 Condor.«
»Das ist kein Bomber, sondern ein Aufklärer.«
»Ein Langstreckenaufklärer. Ich dachte an vier Maschinen, mit je zwei Zehn-Zentner-Bomben bestückt. Mein Bodenkommando würde das feindliche Radar ausschalten, damit sie eine Chance hätten. Kommen Sie, Milch, sagen Sie schon, was halten Sie davon?«
Milch schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Sie müssten ja nicht von Deutschland aus fliegen, sondern könnten von besetztem Gebiet in der Ukraine aus starten. Von Winniza aus. Ich habe es ausgerechnet. Von Winniza nach Teheran sind es achtzehnhundert Kilometer. Die Strecke hin und zurück wäre gerade noch innerhalb der Standard-Treibstoffreichweite der 200.«
»Nein, sie wäre knapp außerhalb. Um vierundvierzig Kilometer«, sagte Milch. »Die offiziellen Zahlen für die Reichweite der 200 wurden geschönt.«
»Dann schmeißen sie eben irgendwas raus, um ein bisschen Treibstoff zu sparen.«
»Einen der Piloten vielleicht.«
»Wenn es sein muss, ja. Oder einer der Piloten übernimmt die Navigation.«
»Also, ich glaube, mit Zusatztreibstoff ließe sich die Reichweite etwas ausdehnen«, räumte Milch ein. »Bei einer so leichten Bombenzuladung, wie Sie sagen, könnte es vielleicht gehen.«
»Erhard, wenn wir es schaffen, die Großen Drei zu töten, können wir die Alliierten an den Verhandlungstisch zwingen.
Überlegen Sie doch mal. Wie Pearl Harbor. Ein entscheidender 66
Schlag, der den gesamten Verlauf des Krieges verändert. Haben Sie das nicht selbst gesagt? Wenn wir die Großen Drei töten, wird es keine alliierte
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