Der Paladin
warum die Fähre am anderen Ufer gelegen hatte und wie es den Bauern ergangen war, die nach Taiyi hatten fliehen wollen.
Das Ufer war flach, von der Landestelle führte eine unbefestigte Straße hinauf; dahinter waren Büsche, eine kleine Ansammlung von Baumschößlingen – gelbe Erde, bleiches Gras, ein feiner Nebel, an dem nicht das Herbstwetter schuld war.
Hinter dem Chisei lag das Herzland, dessen Ausleger Hoishi, Hoisan und Mendang waren. Pan'yei. Der Schoß des Himmels. Und die Luft war erfüllt von Brandgeruch.
Keine schöne Heimkehr, dachte Shoka und schwang sich in den Sattel, als der Bug der Fähre ans Ufer stieß. Der Wallach rührte sich nicht vom Fleck. Shoka trat ihn fest in die Flanken, und das Pferd stieg hoch, stürmte mit polternden Hufen über die Planken nach vorn in den Schlamm. Die Böschung hoch, das war das mindeste, was man von einem energischen Mann erwarten konnte. Er sah die Söldner aus dem Gebüsch hervorkommen und ihm den Weg abschneiden; die Bogen hielten sie gesenkt und zögerten, sie abzuschießen.
Das war ihr Fehler.
Es dauerte eine Weile, hundert Männer und ebenso viele Pferde über den Fluß überzusetzen. Shoka legte seine geborgte Rüstung ab und setzte sich in den Schatten eines größeren Baums, während Jiro und die Stute mit geschlossenen Augen ausruhten und sogar aufs Grasen verzichteten. Ebensowenig interessierte er sich für das Essen, das Taizu ihm aufdrängte; doch er schluckte es hinunter und murmelte: »Ich bin geschafft, Mädchen«, dann streckte er sich auf dem kalten Boden lang aus, mehr wollte er nicht.
Vor allem pochte ihm der Schädel, das Bein tat ihm weh, und wenn er die Augen schloß, sah er Blut, schreckliche Dinge. Aber er wußte, wo er war. Sie war da, sie sagte ihm, daß sie nicht einschlafen würde, und solange sie im Hellen wachte, war er in Sicherheit und kannte den Rückweg in die Welt.
Taizu, die mit dem Schwert zwischen den Knien döste, Taizu in ihrem seltsamen Lederpanzer, mit den Schleifen im Haar. Solange er sie vor Augen hatte, sah er nicht das Blut, und die Dunkelheit hielt sich von ihm fern.
»Verschwinde«, hatte sie einen von Reidis Männern angeschrieen, der ihn irgendwas hatte fragen wollen.»Er hat seit gestern nicht mehr geschlafen, laß ihn in Ruhe!«
Wer immer
es
war und was immer er wollte, er wartete und würde weiter warten, dachte er, solange er an diesem dunklen Ort wandelte.
Da waren Schatten. Er kämpfte mit ihnen.
Der alte Kaiser war da.
Mein Sohn ist ein Narr
, sagte der alte Mann.
Das hat Euch alle Welt gesagt
, meinte er geduldig und respektlos.
Er stolzierte ohne sich zu verabschieden aus der gewaltigen Halle hinaus. Aus irgendeinem Grund stellten sich ihm die Wachen nicht in den Weg.
Er suchte nach seinem Vater, anscheinend schon seit langer Zeit, und ihm wurde immer bänglicher zumute.
Ich muß dir etwas zeigen
, würde er sagen.
Doch als er meinte, er habe seinen Vater im Hof sitzend gefunden, verschwand sein Vater, und vor ihm befand sich eine schattenhafte Armee, und die Sonne schien ihm in die Augen.
Und Taizu hockte vor ihm und sagte: »Meister Shoka. Meister Shoka. Ihr müßt jetzt aufwachen. Fürst Reidi meint, es sei Zeit.«
Er blinzelte sie an, beschattete seine Augen mit dem Arm und wußte einen Moment lang nicht, ob er wach war oder träumte, und empfand Besorgnis wegen der Männer – wie viele waren es? –, die auf ihn warteten. Wo? Wie lange schon? Wann? Sein Herz hämmerte, während er die Gegenwart von der Vergangenheit zu trennen und sich zu erinnern versuchte, ob er irgend etwas versprochen hatte, etwas, das ihm unbedingt wieder einfallen mußte.
Doch es war nur Taizu, die sich zwischen ihm und der Sonne bewegte und ihm eine dampfende Schale Tee entgegenhielt.
Er rappelte sich hoch, lehnte sich mit dem Rücken an den Baum, nahm mit zitternder Hand die Schale und trank. Während er geschlafen hatte, war der Schatten weitergewandert. Er blinzelte und versuchte sich darüber klarzuwerden, wo er sich befand, sah Fürst Reidi auf sie zukommen, die in ihrer Nähe lagernden Männer, die angepflockten Pferde.
»Fürst Saukendar«, sagte Reidi, am Rand des Sonnenscheins stehend, ein Schatten vor dem blendenden Licht. »Verzeiht mir, aber wir befinden uns hier in einer prekären Lage... hundert Männer... hier am Fluß... Die Söldner...«
Der Kopf tat ihm weh. Er blinzelte, versuchte Reidi wenigstens die Höflichkeit zu erweisen, daß er ihn anschaute. Ein ängstlicher alter Mann.
Weitere Kostenlose Bücher