Der Paladin
dieser Ausdruck in ihrem Blick. Er sah woanders hin, lauschte auf die Baumfrösche und den Wind. Er blieb lange dort sitzen, bis er ihre Stimme aus seinem Geist verdrängt hatte; und ihre Augen aus seinem Denken; und bis er Chiyaden wieder in weite Ferne gerückt hatte.
Als es dunkel geworden war, ging er schlafen, fand seine Matte, zog sich aus und legte sich hin, sich der Gegenwart eines anderen Menschen in der Hütte bewußt, die niemand außer ihm je betreten hatte – und dachte im Dunkeln über das Risiko nach, das er einging. Alle seine Befürchtungen konnten sich immer noch bewahrheiten, die Möglichkeit eingeschlossen, daß sie ein außergewöhnlich gut verkleideter Dämon war, was im Dunkeln und kurz vor dem Einschlafen glaubhafter erschien als noch bei Tag: die Dörfler unten in Mon wußten, daß ein Dämon im Dunkeln größere Macht hatte, und wenn jemand so dumm war, mit einem Dämon zu sprechen, Nahrung mit ihm zu teilen oder von ihm anzunehmen, dann gewann dieser Dämon Macht über ihn; und wenn er genug hatte, dann ließ er seine Verkleidung fallen und zeigte sich in seiner wahren Gestalt, mit Schädeln als Halsschmuck, mit Reißzähnen und durchdringenden Augen...
Mit dieser mystischen Angst ließ sich wesentlich leichter umgehen als mit der realen Furcht, das Mädchen könne verrückt genug sein, sich eines Tages gegen ihn zu wenden und Giftpilze in seine Suppe zu tun. Damit ließ sich viel leichter umgehen als mit der Angst, jemand könnte sie geschickt haben.
Aber schon vor langer Zeit hatte er gelernt, daß ein Mann an manchen Abenden mit solchen Ängsten einschlafen mußte, weil Körper und Geist nur bis einem gewissen Grad im Halbschlaf zu verweilen und mit einem Auge aufzupassen vermochten. Er schloß einfach die Augen und vertraute darauf, daß er aufwachen werde, wenn irgend etwas nicht stimmte; bis jetzt hatte er das noch immer getan.
Manchmal glaubte er, er brauche einen Hund. Es war ihm jedoch keiner zugelaufen, und auf seine einsiedlerische Art hatte er sich nicht einmal diesen Trost vom Dorf erbeten, um seine Ängste nicht zu zeigen.
Eine Legende zu sein, bedeutete manchmal eine verdammt schwere Last; aber Leuten, von denen er abhängig war, als Mensch zu erscheinen, war ihm seit Chiyaden allzu riskant erschienen.
Er hörte, wie sich das Mädchen regte, und öffnete ein Auge, auf, doch er hatte das Tageslicht, das unter der Tür hereindrang und durch die Ritzen in den Fensterläden sickerte, schon vorher bemerkt. Er beobachtete, wie sie, noch immer vollständig bekleidet, aufstand und mit dem Wassereimer nach draußen ging. Fleißig, fleißig. Das gefiel ihm.
Er hatte ihr gezeigt, wo die Latrine war. In Anbetracht ihres Schamgefühls ließ er ihr etwas Zeit; er überlegte, ob er aufstehen und sich ankleiden solle, solange sie draußen war.
Nein, dachte er. Sie wollte ein Schüler sein, wollte behandelt werden wie ein Junge, dann würde er sich verdammt noch mal auch keine Umstände machen.
Er stand auf und zuckte zusammen – Himmel, die Bewegung gestern, der Ruck und das Abrollen rächten sich heute morgen, und der ganze Rücken tat ihm weh, die Schulter, sein krankes Bein. Er streckte sich und fluchte – verdammt wollte er sein, wenn er vor dem Mädchen umherhumpeln würde. Er wickelte sich in die oberste Decke, unternahm seinen morgendlichen Spaziergang zur Latrine und kehrte zum Regenfaß zurück, um sich zu waschen, als sie mit einem Eimer voller Trinkwasser vom Bach den Hügel heraufkam. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln und duckte sich für eine kurze Dusche unter den Tropfeimer, der an der Ecke neben dem Regenfaß an der Rückwand der Hütte hing.
Vom kalten Wasser taten ihm die Knöchel weh, und die Zähne klapperten ihm; er wickelte sich in die Dekke und ging – eher ein Humpeln, weil das Zittern sein krankes Bein unsicher machte – wieder auf die Veranda und nach drinnen.
Dann legte er die Decke ab und kleidete sich an, während sie den Frühstückstee zubereitete. Sie sah ihn nicht an, abgesehen von einem kurzen Blick und einem Wegzucken. Dann wandte sie ihm den Rücken zu – soweit, so gut. Sie wußte also, daß sie eine Frau war.
Er rasierte sich, was er nicht immer tat; und sie gab ihm Tee – etwas Neues für ihn und ein Luxus, dachte er, einen Sommermorgen mit etwas Warmem zu beginnen. Er setzte sich auf die Veranda und nippte am Tee, während sie in der Hütte saubermachte und die Matten zusammenrollte, mit einem Arbeitseifer, der ihn
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