Der Palast
Wangen waren heute von einem rosigen Schimmer überzogen, und ein ungewöhnliches Strahlen lag in seinen Augen. »Das … äh, weiß ich schon!« Er rieb sich freudig die Hände und fuhr fort: »Der Drachenkönig hat meine Mutter zu einem Palast auf einer Insel in einem See auf der Halbinsel Izu gebracht.«
Sano hob erstaunt den Kopf, als der Shōgun den Namen aussprach, den er und Yanagisawa soeben auf der Karte in den Archiven gefunden hatten. Er spürte, dass er den Mund aufriss und die Stirn in Falten legte. Ein kurzer Seitenblick auf den Kammerherrn bewies, dass Yanagisawa ähnlich reagierte.
»Wie habt Ihr das herausgefunden?« Zum ersten Mal im Leben starrte Yanagisawa den Shōgun völlig verstört an.
»Die Leibdienerin Suiren ist aus der … äh, Bewusstlosigkeit erwacht«, erklärte der Shōgun. »Ich habe mit ihr gesprochen.« Sichtlich erfreut, kicherte der Herrscher über die bestürzten Mienen des Kammerherrn und des sōsakan-sama. Seine Gefolgsleute hielten nur mühsam ein Lächeln zurück. »Sie hat mir erzählt, sie habe die … äh, Entführer belauscht, als sie sagten, wohin sie gehen.«
Sano und Yanagisawa wechselten erstaunte Blicke. So viel Eigeninitiative hätte Sano seinem Herrn niemals zugetraut. Es war fast unglaublich, dass Suiren im Besitz wichtiger Informationen war, nachdem der sōsakan-sama praktisch alle Hoffnungen aufgegeben hatte.
»Herr«, sagte Yanagisawa, als er sich wieder gefasst hatte. »Da wir nun alle wissen, wer der Drachenkönig ist und wo er sich aufhält, bitte ich Euch, mir zu erlauben, mit meinen Soldaten aufzubrechen, um Fürstin Keisho-in zu retten.«
»Ihr kommt zu spät!« Der Shōgun musterte Sano und Yanagisawa erfreut. »Ich habe mein Heer bereits ausgeschickt. Es reitet in diesem Augenblick nach Izu.«
Sanos Fassungslosigkeit verwandelte sich in Entsetzen. Er war von Anfang an dagegen gewesen, das Heer in die Sache hineinzuziehen. Und dabei ging es ihm nicht nur um die Drohung des Drachenkönigs, alle Geiseln zu töten, wenn er verfolgt wurde. Tokugawa-Soldaten waren bestens in der Lage, die Ordnung aufrechtzuerhalten, weil allein schon die schiere Zahl der Soldaten Angst verbreitete. Es war für sie kein Problem, gegen Unruhestifter in den Straßen vorzugehen. Aber die meisten dieser Männer hatten keine Erfahrungen auf dem Schlachtfeld. Und ihre Kommandeure hatten lediglich den Befehl über Scheingefechte auf den Kampfübungsplätzen geführt. Sano traute dem Heer keine erfolgreiche Mission zu, die ausgefeilte Kampftechniken und kluge Strategien verlangte. Wenn die Soldaten in Izu eintrafen, würden sie sich nicht mit Verhandlungen aufhalten, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen, sondern die Insel stürmen. Doch selbst wenn sie in der Überzahl waren, könnten die Söldner der Schwarzen Lotosblüte genügend Tokugawa-Soldaten töten und ihre Niederlage so lange hinauszögern, bis Dannoshin Fürstin Keisho-in, Fürstin Yanagisawa, Midori und Reiko getötet hatte. Es gab nur eine Möglichkeit, diese Katastrophe zu verhindern.
»Ich bitte Euch um die Erlaubnis, Herr, mich dem Feldzug nach Izu anzuschließen«, bat Sano.
»Ich ebenfalls«, stieß Yanagisawa hervor. Offenbar begriff auch der Kammerherr, dass der Shōgun das Leben der Geiseln gefährdete. Natürlich war Yanagisawa auch daran gelegen, die Lorbeeren zu ernten und die Achtung seines Herrn zurückzugewinnen.
»Warum?«, fragte der Shōgun hinterlistig. »Das Heer kommt … äh, sehr gut ohne Euch zurecht. Es ist besser, wenn Ihr hier bleibt und Euch um die Aufgaben kümmert, die Ihr in den letzten Tagen … äh, vernachlässigt habt. Sano -san , müsst Ihr nicht in anderen Verbrechensfällen ermitteln? Yanagisawa -san , ich habe es satt, das Land allein zu regieren. Ich brauche Eure Hilfe.«
Sano und Yanagisawa warfen sich einen raschen Blick zu und bekundeten stillschweigend ihr Einverständnis, dass sie beide nach Izu reiten mussten, um eine Katastrophe zu verhindern.
»Erlaubt uns, Euch zu Eurem klugen und raschen Handeln zu gratulieren, Herr«, sagte Yanagisawa.
Der Shōgun strahlte.
»Aber Eure Strategie bereitet uns ein wenig Sorge«, fuhr Sano fort.
»Äh … was?« Erste Zweifel schlichen sich in das Triumphgefühl des Shōgun.
»Das Heer ist für solch heikle Einsätze nicht ausgebildet«, sagte Yanagisawa.
»Die Befehlshaber wissen nichts über Dannoshin«, fügte Sano hinzu.
»Und sie wissen auch nicht, wie wild entschlossen er ist, Rache an Polizeikommandeur Hoshina
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