Der Palast
Überall lagen Leichen. Ich sah, dass die Männer die Truhen leerten. Fürstin Keisho-in, Fürstin Yanagisawa, Reiko -san und Midori -san lagen am Straßenrand. Sie schienen zu schlafen. Die Verbrecher legten sie in die Truhen.«
Als Tokugawa Tsunayoshi hörte, dass seine Mutter wie Frachtgut behandelt worden war, schnappte er vor Empörung nach Luft.
»Ich wollte zu den Männern kriechen, um sie aufzuhalten, aber ich war zu schwach.« Lautes Schluchzen ließ Suirens abgemagerten Körper beben. »Wie gern hätte ich Fürstin Keisho-in gerettet!«
»Jetzt habt Ihr die Möglichkeit … äh, mir zu helfen, meine Mutter zu retten«, sagte der Shōgun. »Haben die Männer Andeutungen gemacht, wohin sie … äh, meine Mutter bringen wollten?«
Müdigkeit legte sich wie ein Schleier über Suirens Züge. Sie sprach so leise, dass der Shōgun sie kaum verstehen konnte. »Es gab einen Streit. Einige beklagten sich, dass die Truhen zu schwer seien, um sie den ganzen Weg zu tragen. Sie würden es nicht schaffen bis …« Das letzte Wort drang leise wie ein Atemzug aus Suirens Mund.
»Izu!« Der Shōgun hatte es dennoch verstanden. »Sie sind nach Izu gegangen!« Hinter seinem Schutztuch grinste er vor Freude, weil er etwas herausgefunden hatte, was Yanagisawa und Sano bisher nicht wussten.
»Der Anführer … befahl einigen Männern, Träger einzustellen, die … helfen sollten, die Truhen zu tragen«, fuhr Suiren fort. »Sie fragten … wie sie zu dem Ort gelangten, wo sie sich alle … treffen wollten.« Suiren verstummte, als lauschte sie Stimmen der Vergangenheit. »Die Hauptstraße in Richtung Süden durch Izu hindurch … an der Kreuzung am Jizo-Schrein nach Westen … ein See mit einem Palast auf einer Insel …«
Von unbändiger Freude erfasst, begann der Shōgun zu kichern und klatschte in die Hände. Jetzt wusste er genau, wo er seine Mutter finden würde. Er konnte es kaum erwarten, die Gesichter von Sano und Yanagisawa zu sehen, wenn er ihnen die Neuigkeit mitteilte.
»Ihr habt mir einen großen … äh, Dienst erwiesen«, sagte der Shōgun. Er beugte sich instinktiv übers Bett und tätschelte Suirens Hand. »Ich werde … äh, Euch schenken, was Ihr Euch wünscht.«
Suiren schloss seufzend die Augen. Die Befragung hatte sie geschwächt. »Ich wünsche mir nur, dass Fürstin Keisho-in unversehrt nach Hause zurückkehrt. Dann kann ich in Frieden sterben.«
Der Shōgun erinnerte sich jäh an die lauernden Krankheiten an diesem Ort und die Ansteckungsgefahr. Sein Gefolge auf den Fersen, stürmte er aus dem Raum. Draußen zog er das Tuch vom Gesicht, wischte sich die Hände daran ab und betete, dass seine Gesundheit keinen Schaden genommen hatte. Trotzdem war er stolz, mit Suiren gesprochen zu haben. Diese erste Heldentat entfachte seinen Appetit auf weitere. Er hatte keine Lust mehr, darauf zu warten, dass andere für ihn handelten. Und er hatte genug von den komplizierten Strategien, die bisher bei der Jagd nach dem Drachenkönig eingesetzt worden waren. Die Gründe für die Verzögerung – wie auch für die ihm eigene Unentschlossenheit – verdrängte er. Zum ersten Mal wusste Tokugawa Tsunayoshi ganz genau, was er als Nächstes tun musste.
Zwei Wachposten führten Midori die Treppe des Turms hinunter und trugen sie auf einer Sänfte durch den Wald. Andere Wachen trieben Reiko, Fürstin Yanagisawa und Keisho-in hinter ihr her durch den Regen und sperrten sie in einen Flügel des Palasts. Der Raum war schmutzig, und es roch nach Feuchtigkeit und Schimmel, mit dem die kahlen Wände bedeckt waren. Immerhin war das neue Quartier mit zerfetzten Kissen, ausgefransten Tatami-Matten, Bettzeug für alle vier Frauen, einer Schüssel mit heißem Wasser und einem Stapel Tücher ausgestattet. Das unversehrte Dach hielt den Regen ab.
Als Reiko den anderen Frauen half, Midori auf einen Futon zu legen, stieß sie ein Dankgebet aus, dass der Drachenkönig sie im Palast untergebracht hatte. Sie schaute durch die vergitterten Fenster auf den grauen, unruhigen See, der durch die Bäume schimmerte. Hier im Erdgeschoss und in der Nähe der Boote winkte die Freiheit. Aber vorerst mussten ihre Fluchtpläne warten.
Midori schrie und verkrampfte sich. Bei jedem Wehenschmerz vergoss sie bittere Tränen. Sie richtete sich auf, keuchte, presste, stöhnte immer wieder und ließ sich rücklings aufs Bett fallen.
»Die Schmerzen sind unerträglich!«, stieß sie hervor, die Augen trüb vor Schmerz. »Ich halte es nicht mehr
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