Der Palast
aus!«
»Beruhige dich«, sagte Reiko und drückte auf jene Punkte der Wirbelsäule, die Wehenschmerzen lindern sollten. Doch erst die Geburt würde Erleichterung bringen. Reiko verdrängte ihre Angst, dass Midori an den schrecklichen Schmerzen sterben könnte. »Es ist bald vorbei«, tröstete sie die werdende Mutter.
Fürstin Yanagisawa rang hilflos die Hände. Keisho-in spähte zwischen Midoris gekrümmte Beine und rief: »Seht! Das Baby kommt!«
Reiko sah einen kleinen Teil des runden Kopfes, der von feuchtem, zerzaustem schwarzen Haar bedeckt war. »Du musst pressen«, drängte sie Midori.
Midoris Wehen ließen jedoch nach, wobei die Schmerzen immer schlimmer wurden. Sie strengte sich an, aber ihre Kräfte reichten nicht aus. »Es kommt nicht …« Sie knirschte mit den Zähnen. »Es steckt fest …«
»Streng dich an«, bat Reiko.
»Ich kann nicht!« Midori schluchzte und warf sich wild hin und her. »Ich werde sterben. O nein, nein!«
»Hör auf zu jammern, Kind!«, schimpfte Fürstin Keisho-in und verzog verärgert das Gesicht.
Sie hob die Hand und verpasste Midori eine schallende Ohrfeige. Der Schlag ließ Midori auf der Stelle verstummen. Keuchend und schwitzend starrte sie die Fürstin an.
»Du wirst das Kind bekommen, ob du willst oder nicht«, sagte Keisho-in. »Und jetzt hör mit dem albernen Gejammer auf. Reiß dich zusammen.« Sie kniete sich vor Midoris Füße und umklammerte ihre Hände. »Press jetzt.«
Diesmal hatte sie ihre herrische Art zu einem guten Zweck eingesetzt. Midori klammerte sich an Keisho-ins Hände wie eine Reiterin, die ein galoppierendes Pferd zügeln wollte, und zog sich nach vorn. Sie presste so stark, dass ihr Gesicht sich rot verfärbte und ein Knurren aus ihrer Kehle drang.
»Gut!«, lobte Keisho-in. »Weiter.«
Midori umklammerte die Hände der Fürstin, presste und stöhnte. Reiko konnte kaum glauben, dass Fürstin Keisho-in über ihren Schatten gesprungen war und Midori nun dank ihres energischen Machtworts den Willen aufbrachte, den sie brauchte, um das Kind zur Welt zu bringen. Jetzt presste Midori mit aller Kraft und schrie vor Freude und Erleichterung, als das Baby kam. Seine durchscheinende, rosige Haut war von blauen Adern überzogen. Die Augen waren geschlossen.
Keisho-in, Reiko und Fürstin Yanagisawa jubelten. Während Midori erschöpft auf ihrem Lager lag, hob Keisho-in das Neugeborene hoch und sagte: »Schau, du hast ein kleines Mädchen!«
Das Baby öffnete den Mund und jammerte laut. Die winzigen Finger bewegten sich. Midori schaute ihr Kind mit ehrfürchtiger Liebe an. Erst jetzt sah Reiko die drei Wachen, die in der geöffneten Tür standen und die Szene mit offenen Mündern verfolgten.
»Steht nicht da herum. Kommt mit Eurem Dolch hierher und schneidet die Nabelschnur durch«, befahl Fürstin Keisho-in ihnen.
Ein Wachposten kam der Aufforderung nach, und dann verließen alle drei den Raum. Keisho-in legte das Baby an Midoris Brust. Während Midori das Kind tätschelte, saugte es an ihrer Brust.
»Ist es nicht süß?«, murmelte Midori.
Reiko lächelte Fürstin Yanagisawa unter Tränen an. Das Wunder eines neuen Lebens verlieh den Gefangenen frische Energie. Hoffnung auf eine glückliche Zukunft vertrieb die Schatten der Angst, des Kummers und der Gefahr.
Doch jäh verdunkelten sich Midoris Züge, und Tränen liefen über ihre Wangen.
»Was ist?«, fragte Reiko.
»Ich wünschte, Hirata -san wäre hier«, erwiderte Midori. »Vielleicht wird er seine Tochter niemals sehen.«
Die harte Realität vertrieb die fröhliche Stimmung. Reiko, Fürstin Yanagisawa und Keisho-in wandten ihre Blicke von dem unschuldigen Kind ab, das in die Gefahr hineingeboren worden war. Reiko erinnerte sich an die Boote in der Nähe, doch sie wusste, dass eine Flucht mit dem zarten Neugeborenen viel schwieriger sein würde als zuvor. Und da sie nicht auf eine Rettung hoffen konnte, bevor ihnen Leid zugefügt wurde, hing das Überleben aller von ihrer Geschicklichkeit ab, den Drachenkönig zu überlisten, damit er ihnen die Freiheit schenkte.
»Herr, wir bringen gute Nachrichten«, sagte Yanagisawa. Er und Sano knieten vor dem Podium im Großen Audienzsaal und verneigten sich vor dem Shōgun. »Wir haben Beweise gefunden, dass Dannoshin Minoru der Drachenkönig ist. Und wir haben den Ort entdeckt, an dem er Eigentum besitzt. Wir nehmen an, dass er Eure Mutter dort gefangen hält.«
»Ihr kommt zu spät!«, triumphierte der Shōgun. Seine sonst so blassen
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