Der Palast
sind.«
Er hatte mit seiner eigenen Mutter eine sexuelle Beziehung unterhalten! Reiko schwieg schockiert. Sie erinnerte sich an die schwärmerischen Worte des Drachenkönigs, als er ihr von Anemone erzählt hatte, die ihn das Schönschreiben lehrte. Die Szenen, die Reiko sich im Geiste ausgemalt hatte, veränderten sich jäh. Anstatt eines Liebespaars, das sich Liebesspielen hingab, sah sie nun eine Mutter, die ihren halbwüchsigen Sohn liebkoste und ihn zu verbotenem Sex animierte. Und der Sohn, aus dem nun dieser boshafte, gepeinigte Mann geworden war, wollte seine schändliche Vergangenheit mit ihr wieder aufleben lassen. Das Ausmaß seiner Perversion und seines Wahnsinns erfüllten Reiko mit unbeschreiblichem Entsetzen.
»Anemone ist die einzige Frau, die ich je geliebt habe«, gestand der Drachenkönig, der Reikos fassungslose Miene gar nicht beachtete. »Ich habe nie geheiratet, weil ich sie nicht vergessen konnte.«
Darum hatte er keine Kinder und gab Anemone die Schuld daran, dachte Reiko.
Ein schmerzliches Lächeln legte sich auf sein Gesicht. »Sie war nicht so treu wie ich. Sie schenkte ihre Liebe einem anderen.«
Das erklärte seine Wut, die Reiko zu spüren bekommen hatte, als er sie geohrfeigt und als Hure beschimpft hatte.
»Aber ich kann sie nicht vollkommen verdammen«, fuhr er fort. »Frauen sind schwach und fallen leicht auf Schurken herein, die sie umwerben. Als dieser Mann in ihr Leben trat, konnte sie ihm nicht widerstehen.«
Gebannt und von einer beinahe krankhaften Faszination erfasst, lauschte Reiko seinen Worten. Dabei war sie überzeugt, dass die Fortsetzung der Geschichte nicht schlimmer sein konnte als die ersten Enthüllungen des Drachenkönigs.
»Der Mann war zuerst der Geliebte meines Vaters«, berichtete der Drachenkönig. »Aber es genügte ihm nicht, nur eine Eroberung in unserem Hause gemacht zu haben. Wenn er meinen Vater besuchte, warf er Anemone stets verliebte Blicke zu. Er machte ihr Komplimente. Wenn sie den Tee servierte und er die Schale von ihr entgegennahm, berührte er jedes Mal ihre Hand und schaute ihr in die Augen. Mein Vater bemerkte es nicht, aber ich habe es gesehen.« Von tiefem Groll erfüllt, presste der Drachenkönig die Lippen aufeinander. »Ich sah, dass der Mann sich um Anemones Zuneigung bemühte. Ich sah sie erröten und lächeln. Ich sah, dass sie ihn nachts ins Gartenhäuschen ließ und dass die beiden sich dort liebten.«
Die schockierte Reiko erkannte, dass sie den Drachenkönig unterschätzt hatte. Sie hätte nicht erwartet, eine Geschichte zu hören, in der es um eine ehebrecherische Dreiecksbeziehung und um Inzest ging.
»Anemone ließ sich von der Leidenschaft des Mannes täuschen, aber ich wusste es besser. Ich versuchte ihr zu erklären, dass er nur mit ihr spielte, um seine eigene Eitelkeit zu befriedigen. Ich warnte sie, dass ihre Affäre ein schlimmes Ende nehmen würde. Doch Anemone hörte nicht auf mich. Wir lagen nie mehr beisammen, denn sie hatte mich wegen dieses Mannes aufgegeben.« Der Drachenkönig ballte die Hände zu Fäusten und fuhr zornig fort: »Sie ließ mich im Stich! Ihren eigenen Sohn, der sie im Unterschied zu diesem anderen Mann abgöttisch liebte!«
»Was ist mit Anemone geschehen?«, fragte Reiko, die sicher war, dass diese Ereignisse irgendwie zum Tod der Frau geführt hatten.
»Mein Vater erfuhr von der Affäre zwischen seiner Frau und seinem Liebhaber«, sagte der Drachenkönig mit angespannter Stimme. Er hatte Mühe, seine Gefühle zu beherrschen. »Eines Abends fuhr er in seinem Ausflugsboot mit Anemone auf den Biwa-See hinaus. Er warf sie über Bord, dass sie ertrank, und tötete sich anschließend selbst.«
Ein Schrei blieb Reiko in der Kehle stecken.
»Der Mann nahm mir nicht nur meine Geliebte«, klagte der Drachenkönig, »er war außerdem der Grund für ihren Tod und den meines Vaters.« Hass verzerrte seine Züge. »Er hat meine Familie zerstört!«
Unversehens spürte Reiko Mitleid mit dem Drachenkönig, der von seinen Erinnerungen gepeinigt wurde – ein Gefangener seiner Qualen. »Wäre Hoshina nicht gewesen, würde meine Mutter noch leben. Anemone und ich wären zusammen.«
Reiko erschrak, als sie den vertrauten Namen hörte. »Hoshina war der Liebhaber Eurer Mutter? Meint Ihr den Polizeikommandeur von Edo?«
»Ja.« Der Drachenkönig strömte Bitterkeit aus, als sickerte Gift aus seinen Poren. »Hoshina wurde niemals bestraft für die Schuld, die er an Anemones Tod trug. Jeder machte sie
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