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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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zufügen konnte.
    »Hat Suiren im Schlaf gesprochen?«, fragte Sano.
    »Nein.«
    »Passt bitte genau auf«, bat Sano den Arzt. »Wenn sie irgendetwas sagt, schreibt es auf. Sobald sie aus der Bewusstlosigkeit erwacht, schickt mir einen Boten.«
    »Ja, sōsakan-sama «, sagte Dr. Kitano.
    Sano warf Suiren einen letzten Blick zu und bat die Götter, sie genesen zu lassen. Dann verließ er das Krankenzimmer, um weitere Ermittlungen über Suiren einzuholen, womit Hoshina bereits begonnen hatte. Er fragte sich, ob er noch andere Fehler aufdecken würde, die Hoshina gemacht hatte.
     
    Die Frauengemächer im Palast zu Edo befanden sich im Inneren Schloss. Hier lebten die Mutter und die Gemahlin des Shōgun, seine zweihundert Konkubinen, deren Dienerinnen sowie die weiblichen Bediensteten und Beamtinnen des Palasts. Insgesamt waren es an die tausend Frauen. Sano gelangte an die mit schweren Eisenbeschlägen versehene Eichentür, die mit geschnitzten Blumen verziert war, und stellte sich den zwei Soldaten vor, die dort auf Posten standen. Der Zugang zum Inneren Schloss war allen Männern verboten – außer einigen zuverlässigen Wachen, Ärzten, Beamten und Boten. Selbst Sano genoss trotz seines hohen Rangs nicht ohne weiteres freien Zutritt.
    »Ich möchte die otoshiyori Chizuru sprechen«, sagte Sano zu einem der Wachposten.
    Die Posten schickten einen Boten zu Madam Chizuru, der obersten Hofbeamtin des Inneren Schlosses. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem, vor dem Schlafgemach des Shōgun Wache zu halten, während er mit seinen Konkubinen schlief, und darauf zu achten, dass diese sich gut benahmen. Außerdem sorgte sie in den Frauengemächern für Ordnung. Sano kannte Chizurus guten Ruf als kluge und tüchtige Aufseherin, die jeden im Inneren Schloss kannte und der kaum etwas entging.
    Es dauerte nicht lange, bis die Aufseherin erschien.
    »Was kann ich für Euch tun?«, fragte sie und verneigte sich vor Sano.
    Die otoshiyori war um die fünfzig und früher selbst eine der Konkubinen des einstigen Shōgun gewesen. Heute hatte sie ergrautes Haar, das zu einem Knoten frisiert war. Ein bescheidener, grauer Kimono bedeckte ihre kräftige Gestalt. Das kantige Gesicht, die dichten, nicht rasierten Brauen und die dunklen Härchen auf der Oberlippe verliehen ihr ein beinahe maskulines Aussehen. Doch ihre Stimme war weich und melodisch, und sie besaß einen ausgesprochen zarten, weiblichen Mund.
    »Erzählt mir etwas über Suiren und zeigt mir ihre Gemächer«, bat Sano.
    »Wie Ihr wünscht.«
    Chizuru trat zur Seite und erlaubte Sano, das Innere Schloss zu betreten. Sie schritten durch Korridore mit gebohnerten Zypressenholzböden und durch ein Labyrinth von Gemächern, die mittels beweglicher Trennwände aus papierbespannten Holzgittern voneinander abgeteilt waren. In den Gemächern hielten sich junge, hübsche Frauen auf, denen Dienerinnen Luft zufächelten. Die Türen zum Garten waren geöffnet, wo weitere Frauen und Dienerinnen unter schattigen Bäumen ruhten. Sano nahm die Düfte verschiedener Parfums und Haaröle wahr – wie auch den weniger angenehmen Geruch zu vieler Menschen, die auf zu engem Raum zusammenlebten. Windspiele klirrten leise im lauen Wind; Frauenstimmen kreischten laut. Die Entführung der Mutter des Shōgun hatte die Ruhelosigkeit dieser Frauen nicht gestillt, die wie Gefangene eingesperrt waren und nichts anderes zu tun hatten, als sich die Zeit zu vertreiben.
    »Hat Polizeikommandeur Hoshina Euch bereits befragt?«, fragte Sano Chizuru.
    »Ja«, erwiderte Chizuru und verzog missbilligend den Mund. »Er hat Suiren beschuldigt, sich mit dem Entführer verschworen zu haben.«
    »Ihr glaubt das nicht?«, fragte Sano.
    »Es steht mir nicht zu, mir eine Meinung zu bilden, die der meiner Vorgesetzten widerspricht«, entgegnete Chizuru.
    Doch Sano wusste, dass hinter ihrer diskreten Art ein unabhängiger Geist schlummerte. »Ich bin sicher, dass Ihr die Frauen besser kennt als Hoshina und jeder andere. Sagt mir, was Ihr glaubt.«
    »Suiren ist seit mehr als dreizehn Jahren die Leibdienerin der Fürstin Keisho-in«, erwiderte Madam Chizuru, die den Mut fasste, ihre Meinung zu äußern. »Sie ist ihrer Herrin treu ergeben. Und sie ist eine liebenswürdige, anständige Frau. Der Gedanke, dass sie irgendwelchen Verbrechern helfen würde, ihre Kameradinnen zu töten und Frauen zu entführen, ist lächerlich!«
    Sano traute dem Urteil Chizurus mehr als dem des Polizeikommandeurs. Die Theorie, dass Suiren dem

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