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Der parfümierte Todeshauch

Der parfümierte Todeshauch

Titel: Der parfümierte Todeshauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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behalten.» Henri
hatte gesagt, was er mir zu sagen hatte, und begab sich wieder hinter seine Theke.
Da ich schon mal auf halbem Weg war, beschloß ich, die Toilette auch zu
benutzen. Sie befand sich am Ende des Flurs, in dem wir uns unterhalten hatten.
Der Flur war sehr lang und ziemlich dunkel, so wie es in Jazzclubs Mode ist.
Irgendwo bog ein weiterer Flur ab. Er war mit einem Strick abgesperrt und ging
in tiefe Finsternis über. Diese Flure führten zu den Kellerräumen — links und
rechts waren noch einige Türen zu sehen — , die früher einmal zu den
Mietwohnungen des Hauses gehört hatten.
    Als ich die Toilette verließ, stieß ich mit
einem großen, schlecht gekleideten und sturzbesoffenen rothaarigen Kerl
zusammen, der aus dem abgesperrten Gang herausgetorkelt kam. Er packte mich
einfach so am mittleren Jackenknopf.
    «Dassiss komisch, M’sieur», lallte er,
«urkomisch! Der Laden kotzt mich an...»
    Seine glasigen Augen blitzten böse auf.
    «Gefahr! Scheißbande! Komm Sie!»
    Er zog mich in den dunklen Flur. Nach drei
Schritten waren wir von der Welt abgeschnitten. In diesem finsteren Winkel
konnte man sich alles mögliche antun. Ich fürchtete um meine Unschuld und
wollte ihm schon eine Gerade verpassen, um mich von ihm zu befreien, als er
mich von selbst losließ. «Sehn Sie! Gefahr!»
    Er knipste sein Feuerzeug an und hielt es wie
eine Laterne hoch. Die gelbliche Flamme beleuchtete zitternd eine
behelfsmäßige, aber solide aussehende Tür, auf der mit Kohle «Gefahr» stand.
Ein Vorhängeschloß baumelte an einem kaputten Eisenriegel.
    «Haben Sie schon mal in dem Laden hier gemampft?
Russische Eier, Schinkentoast, Käse?»
    «Nein, ich...»
    «Ssst! Das hier ist der Vorratskeller.
Brinvilliers-Palace. Riechen Sie nix? Gefahr! Kann ich mir denken, verdammt.
Moment!»
    Er zog die Tür auf. Sie ließ sich willig
aufziehen. Ich dachte, sie würde in den Angeln quietschen. Doch sie quietschte
nicht. Daß es da drin aber so stank wie die Pest, darauf war ich nicht gefaßt
gewesen. Ein widerlicher Gestank schlug uns entgegen.
    «Na, was meinen Sie?» fragte mich der Besoffene.
«Was ist das wohl? Alter Camembert oder faule Eier?»
    «Keine Ahnung. Gehen wir lieber was trinken!»
    «Gute Idee.»
    Auf dem Weg zur Theke hängte ich ihn ab. Dann
zog ich Henri beiseite.
    «Sag mal, was ist denn da unten hinter der Tür
mit der Aufschrift ?» fragte ich ihn.
    «Irgendein Gang, der wer weiß wohin führt. Zu
den Katakomben womöglich...»
    «Wenn ihr nicht wollt, daß sich eure Gäste da
drin verirren, solltet ihr den Gang richtig absperren!»
    «Verdammt!» schimpfte Henri erschrocken. «Auf
die muß man aufpassen wie auf Babys. Diese Schluckspechte! Hoffentlich ist noch
keiner in den Brunnen gefallen!»
    «Gibt’s denn da einen Brunnen?»
    Es gab einen.
    Eine historische, architektonische Kuriosität,
über deren runde Öffnung wir uns wenig später beugten, wobei wir uns gegen die
baufälligen Überreste des Brunnenrandes lehnten. Henri hatte Licht gemacht. Vor
kurzem war nämlich ganz in der Nähe des Lochs eine Birne angebracht worden,
wahrscheinlich um auf die Gefahr aufmerksam zu machen und Unfälle zu vermeiden;
oder man wollte die Aufmerksamkeit eventueller Touristen auf die
Sehenswürdigkeit lenken. Wir hatten Glück, das Licht funktionierte. Der
Barkeeper hatte sich außerdem mit einer Taschenlampe bewaffnet, deren kräftigen
Lichtkegel er nun auf das Innere des Brunnens richtete. Das «Bauwerk» war
ziemlich tief. Sein Boden war mit Schlamm bedeckt. An den Innenwänden, in den
Spalten des Mauerwerks, wuchs Unkraut. Ich mochte mich gar nicht fragen,
welches Ungeziefer in eben diesen Spalten hauste.
    Im Lokal jammerte das Saxophon. Die gestopfte
Trompete stieß einen wimmernden Ton aus, der dem Publikum Schreie des
Entzückens entlockte. Ich konnte mir schlecht vorstellen, daß kaum sechs Meter
von uns entfernt gebrüllt und gelacht wurde, während wir, Henri und ich, hier
am Rand eines Lochs standen, aus dem ein abscheulicher Gestank emporstieg.
    Ganz unten auf dem Grund war etwas zu sehen.
Etwas Unbewegliches, Zusammengekrümmtes. Wie ein kaputter Hampelmann. Es war
auch tatsächlich kaputt, völlig kaputt. Aber es war kein Hampelmann.
    «Großer Gott!» stöhnte Henri.
    Die Taschenlampe in seiner Hand zitterte, doch
er richtete sie tapfer in die Tiefe.
    «Man könnte meinen...»
    «Ja, könnte man», pflichtete ich ihm bei. «Und
sehr viel weniger nervös als das letzte Mal, als du ihn

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