Der parfümierte Todeshauch
sagte
ich, «oder aber er hat sie in seiner Wohnungstür steckengelassen.»
Der Arzt hüstelte. Wir gingen zu dem
improvisierten Leichentisch. Rosetti spuckte sein Streichholz auf den Boden und
steckte sich ein neues zwischen die Zähne.
«Nun.»
«Nichts Verdächtiges», sagte der Arzt.
«Zumindest nicht auf den ersten Blick. Die Autopsie wird uns eventuell mehr
verraten, aber ich bezweifle das. Der Tod ist bereits vor mehreren Tagen
eingetreten. Alle sichtbaren Verletzungen rühren von dem Sturz her...»
«Kein Messerstich, keine Kugel?»
«Um Himmels willen!» stöhnte der Geschäftsführer.
«Was vermuten Sie, Inspektor?»
«Ja, ja, schon gut», knurrte Rosetti. «Ich tue
nur meine Pflicht. Ihre wäre es gewesen, den Brunnen zuzuschütten...»
«Der Besitzer ist dagegen. Der Brunnen ist eine
historische Sehenswürdigkeit.»
«...oder das Schloß zu reparieren... Und, was
noch, Doktor?»
«Keine Spuren von Verletzungen, außer denen, die
durch den Sturz herbeigeführt wurden. Nur an den Händen ist etwas Seltsames zu
bemerken... wie zerquetscht... Ich glaube jedoch, das läßt sich leicht
erklären. Im Augenblick sieht es für mich so aus, als hätte er versucht, am
Brunnenrand hochzuklettern. Der Selbsterhaltungstrieb verleiht ungewöhnliche
Kräfte, auch wenn man in einer Art Koma liegt... Daher könnten jedenfalls diese
Blasen und Abschürfungen an den Innenflächen der Hände herrühren.»
«Ein Unfall also?»
«Sieht ganz so aus. Vielleicht war der Tote
betrunken. Darüber wird uns sein Mageninhalt Aufschluß geben.»
Rosetti wandte sich an Henri:
«Sie haben doch ausgesagt, daß er blau war, als
Sie ihn das letzte Mal gesehen haben, oder irre ich mich?»
«Ja, er war stockbetrunken.»
«Wie die meisten Ihrer Gäste.»
Rosetti hob abschließend die Schultern.
«Er hat sich für Blaubarts Frau gehalten, wollte
wissen, was hinter der Tür war. Das Wort muß ihn magisch
angezogen haben. Er hat den Riegel aufgebrochen — wenn er’s nicht schon war — ,
und dann hat er sich in dem Loch die Gräten gebrochen. Und auch wenn er nach
Hilfe gerufen haben sollte... Bei dem Höllenspektakel im Lokal... Gut, das wär’s
dann im Augenblick...»
Er gähnte wie der offene Brunnenschacht.
«Ich werde die Leiche wegbringen lassen. Was Sie
drei betrifft...»
Er zeigte auf Henri, dessen Chef und meine
Wenigkeit.
«...Sie werden mich aufs Kommissariat begleiten.
Wir müssen Ihre Aussagen protokollieren.»
Die Formalitäten nahmen weniger Zeit in
Anspruch, als ich befürchtet hatte. Nachdem wir das Kommissariat verlassen
hatten, verließ uns, Henri und mich, der Geschäftsführer des Clubs, um sich
ich-weiß-nicht-wo von der Aufregung zu erholen.
«Hör mal», sagte ich zu dem Barkeeper, «ich
würde euren Rausschmeißer noch gerne etwas fragen. Ist er schon schlafen
gegangen oder kann man damit rechnen, ihn noch irgendwo anzutreffen?»
«Der wird wohl zu Gaston gegangen sein, Rue du
Four. Ein Restaurant, in das wir immer alle zusammen gehen, nachdem wir
dichtgemacht haben. Das werd ich übrigens jetzt auch tun. Solche Geschichten
machen hungrig und durstig. Oh, Scheiße! Das ist ‘n Ding! Und dann diese Hitze!»
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
«Daß es aber auch kein Gewitter gibt!»
«Das Donnerwetter hatten wir ja! ... Gut, ich
komme mit dir zu Gaston. Aber vorher muß ich nachsehen, wie es Janine geht.»
Nachdem ich der Kleinen mitgeteilt hatte, was
man in dem Brunnen gefunden hatte, hatte sie einen erstklassigen Nervenzusammenbruch
hingelegt. Ich hatte sie zwei Hübschen aus dem Club anvertraut, Mado und
Simone, Freundinnen von Henri. Im Augenblick waren sie wohl dabei, sich in der
oberen Etage des Flore um Janine zu kümmern.
Sie waren tatsächlich noch dort.
Janines verstörte, tiefliegende Augen richteten
sich auf mich. Sie nahm meine Hände zwischen ihre fieberheißen Finger.
«Es ist so furchtbar», flüsterte sie. «Ich hatte
allen Grund, das Schlimmste vorauszusehen.»
«Ja, das Schlimmste ist eingetroffen», erwiderte
ich, «aber Sie hatten keinen Grund, es vorauszusehen. Es war ein Unfall.»
Sie nickte schmerzerfüllt. Ich zog meine Hände
zurück. Sie griff wieder nach ihnen, wie ein Ertrinkender, der sich an ein
Wrackteil klammert.
«Gehen Sie nicht fort!» bat sie. «Ich flehe Sie
an, gehen Sie nicht fort!»
«Keine Angst, ich komme gleich wieder.»
Ich tätschelte ihren Oberschenkel, ohne mich zu
fragen, ob das den Umständen angemessen war. Dann
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