Der Partner
»Außerdem habe ich hier noch drei weitere Berichte von Privatdetektiven. Mein Mandant scheint sehr misstrauisch gewesen zu sein.«
Vor Sandys Augen verwandelte sich J. Murray von einem hartgesottenen Advokaten in einen gefühlvollen Unterhändler, eine an ein Chamäleon erinnernde Veränderung, weit verbreitet bei Anwälten, denen plötzlich die Munition ausgegangen ist. Er seufzte geschlagen, und sackte auf seinem lederbezogenen Sessel zusammen. »Sie erzählen uns nie alles«, sagte er. Es war plötzlich das alte Wir-gegen-Sie. Anwälte versus ihre Mandanten. Er und Sandy saßen jetzt in einem Boot. Was sollten sie nur tun?
Sandy dagegen fehlte noch etwas zum alles entspannenden großen Wir-Gefühl. »Noch einmal, ich bin kein so strikter Verfechter des Ersten Verfassungszusatzes wie Sie, aber wenn diese Fotos ihren Weg in die Skandalblätter finden würden, dann wäre es für Trudy bestimmt sehr peinlich.«
J. Murray machte eine wegwerfende Handbewegung, dann schaute er auf die Uhr. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch einen Drink möchten?«
»Ich bin sicher.«
»Wieviel hat Ihr Mandant?«
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, noch nicht. Aber das ist hier auch nicht die entscheidende Frage.
Die Frage ist, was übrig bleibt, wenn sich der Staub gelegt hat, und im Augenblick weiß das niemand.«
»Bestimmt hat er noch den größten Teil der neunzig Millionen.«
»Er ist auf wesentlich mehr als das verklagt worden. Ganz zu schweigen von der Aussicht auf eine langjährige Gefängnisstrafe und der Möglichkeit einer Hinrichtung. Diese Scheidung, Mr. Riddleton, ist seine geringste Sorge.«
»Weshalb drohen Sie uns dann?«
»Er will, dass sie den Mund hält, ihre Scheidung bekommt und abhaut und auf alle künftigen Ansprüche gegen ihn verzichtet. Und er will, dass das sofort passiert.«
»Und wenn nicht?« J. Murray lockerte seine Krawatte und sackte noch ein paar Zentimeter tiefer in seinem Sessel zusammen. Der Tag war plötzlich zu weit fortgeschritten; er wollte nur noch nach Hause. Er hielt für einen Moment inne, dann sagte er: »Sie wird alles verlieren, weiß Ihr Mandant das? Die Versicherungsgesellschaft wird ihr den letzten Cent nehmen.«
»Hier gibt es keine Gewinner, Mr. Riddleton.«
»Lassen Sie mich mit ihr reden.«
Sandy sammelte seine Papiere ein und ging langsam in Richtung Tür. J. Murray mühte sich, ein weiteres trauriges Lächeln zustande zu bringen, und gerade, als sie einander zum Abschied die Hände schüttelten, erwähnte Sandy noch, als hätte er es beinahe vergessen, diesen anonym Hinweis, der in seiner Kanzlei in New Orleans eingegangen war und demzufolge Lance auf der Suche nach eine Auftragskiller wäre. Er wisse nicht, ob er das glaube dürfe, aber er sähe sich gezwungen, auf alle Fälle den Sheriff und das FBI darüber zu informieren.
Sie erörterten kurz den Sachverhalt. Riddleton versprach, es seiner Mandantin gegenüber zu erwähnen.
EINUNDZWANZIG
Dr. Hayanis letzte Station war Patricks Zimmer. Es war fast dunkel, lange nach Feierabend, und er traf seinen berühmten Patienten nur mit einer Turnhose bekleidet, auf einem Stuhl sitzend, an dessen improvisierten Arbeitsplatz in der einzigen freien Ecke seines Zimmers an. Der Arbeitsplatz war ein kleiner Tisch mit einer Lampe, die Patrick einem Pfleger abgeschwatzt hatte. Ein Wasserbecher aus Plastik enthielt Bleistifte und Kugelschreiber, ein anderer den Anfang einer Sammlung von Büroklammern, Gummibändern und Reißzwecken, alles vom Pflegepersonal gespendet. Er hatte sogar drei Notizblöcke.
Patrick war bei der Arbeit. Eine beeindruckende Kollektion von juristischen Dokumenten hatte auf einer Seite des Tisches Platz gefunden, und er war gerade in eine der vielen gegen ihn eingereichten Klageschriften vertieft, als sein Arzt hereinschaute, zum dritten Mal an diesem Tag.
»Willkommen in meinem Büro«, sagte Patrick. Dicht über seinem Kopf hing ein Ungetüm von einem Fernseher. Die Rückenlehne seines Stuhls war nur dreißig Zentimeter vom Fußende seines Bettes entfernt.
»Hübsch«, sagte Hayani. In Krankenhäusern verbreiteten sich Gerüchte noch schneller als in Anwaltskanzleien, und in den letzten beiden Tagen hatte es amüsiertes Geraune über die neue Kanzlei gegeben, die in Zimmer 312 eingerichtet worden war. »Ich hoffe, Sie verklagen keine Ärzte.«
»Niemals. In meinen dreizehn Jahren als Anwalt habe ich keinen einzigen Arzt verklagt. Und auch kein Krankenhaus.« Er war aufgestanden, während er
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