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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Pferd trabte, nein, trottete mit ihnen zur Schule, und um drei fuhr er sie in endlos schleppender, knarrender Fahrt wieder heim. Er warf seinen buschigen, hennagefärbten Bart über die verschwitzte Schulter zurück und sagte, was er immer sagte: »Sie hat den ganzen Tag in der Sonne geschuftet, Bibi. Sieh doch, wie müde sie ist. Ich sag ihr, sie soll schneller laufen, und sie wird's versuchen, aber das wird dir das Herz brechen.« Und dann zu der knochigen braunen Kruppe hin: »He, Shagufta, schneller, schneller! Schneller, Shagufta, sonst verwelken die großen Mems da hinten in der glühenden Sonne.«
    »Deine Mähre ist ja älter als du selbst, Chacha«, sagte Manjeet. »Verkauf sie an den Schlachter, und besorg dir eine starke neue Stute.«
    »Aber schau doch, wie sie sich anstrengt, schau, wie sie läuft. Wie kannst du so etwas sagen, Bibi? Du brichst ihr ja das Herz.«
    Manjeet schnaubte und hielt sich ihre Schultasche als Sonnenschutz vors Gesicht. »Jetzt rasen wir ja richtig, das ist ja direkt lebensgefährlich. Ich hab solche Angst!«
    Prabhjot Kaur kicherte, und plötzlich verlangte es sie nach einem großen Glas Wasser aus dem bauchigen Tongefäß, das Mata-ji den ganzen Tag feucht hielt. Sie stellte sich vor, wie das Wasser mit sattem, anschwellendem Gurgeln in ein Glas floß. Die schwarze Straße glitt unter ihren staubigen Schuhspitzen dahin, und Shaguftas trauriges Hufgeklapper pochte langsam in ihren Schläfen. Sie schloß die Augen, aber sie wußte, daß sie jetzt am Kalra Shoe Emporium mit dem spitz zulaufenden Ständer voller Damenschuhe vorbeifuhren, dann am Lal 362 Madan Lal Halwai, wo es im hinteren Teil große Familiennischen gab und einen riesigen Spiegel, in den ein Mann mit Turban und eine Frau am Ufer eines Baches eingeätzt waren, dann kam Kiani Fine Furniture mit dem langen roten Sofa im Schaufenster und einem Schild mit der Aufschrift »Seit 50 Jahren zu Ihren Diensten« - nicht das Sofa, sondern der alte Mr. Kiani mit seinen drei Söhnen. Prabhjot Kaur wettete mit sich selbst und öffnete dann die Augen, und wirklich befanden sie sich nun direkt gegenüber der Tarapore Bakery, einem Kuchen- und Limonadenparadies, in dem sie nur ein einziges Mal in ihrem ganzen Leben gewesen war, an ihrem neunten Geburtstag. Sie erinnerte sich an das laute Plopp, mit dem der kugelförmige Glasstöpsel unter dem Druck von Papa-jis Hand in die Flasche mit der Erdbeerlimonade fiel. Prabhjot Kaurs Mundwinkel taten weh, schmerzten förmlich unter dem Ansturm der Erinnerung an den Strom der rosafarbenen Eruptionen in ihrem Mund, das Kribbeln an der Innenseite ihrer Lippen. Shagufta trottete unterdessen weiter, vorbei an der Tarapore Bakery, und in diesem Moment sah Prabhjot Kaur Ram Pari. Mit flatterndem Dupatta ging sie am Straßenrand entlang, die Arme gerade am Körper. Eine unerklärliche Scham erfaßte Prabhjot Kaur, und sie verkroch sich in sich selbst. Irgend etwas an Ram Paris Anblick auf dieser breiten Straße, neben den beiden weißgekleideten Damen mit ihren Hüten wie filigrane Gärten, ihren glänzenden weißen Riemchenschuhen und den erstaunlich hauchdünnen Kleidern aus den geheimnisvollen Regionen von Pereira's Ladies Wear, irgend etwas an Ram Paris breitbeinigem Gang bewirkte, daß Prabhjot Kaur sie in diesem Moment lieber nicht gekannt hätte. Sie wandte den Kopf ab, als wollte sie sich auf der anderen Straßenseite etwas ansehen, aber ihr Hals brannte, nicht von der Sonne, sondern, wie sie glaubte, von Ram Paris Blick. Sie konnte der Versuchung, schnell zu ihr zurückzuschauen, nicht widerstehen. Ram Paris Gesicht wirkte gespannt wie ein Laken, das sich im heißen Sommerwind bläht, und ihre harten Augen schienen nichts zu sehen, obwohl sie direkt auf Prabhjot Kaur gerichtet waren. Ihre zornig gekrümmten Schultern verblaßten nach und nach im gleißenden Licht der Larkin Road, während Shagufta sich langsam von ihr entfernte, und schließlich verlor Prabhjot Kaur sie aus den Augen. Dann bogen sie auch schon nach links in die Fulbag Gali und den Chaube Mohalla ein. Manjeet sprang vom Wagen, und ihre dicken Zöpfe hüpften und tanzten hinter ihr her.
    Als Prabhjot Kaur nach Hause kam, saß ihr Vater mit seinem Freund Khudabaksh Shafi im Wohnzimmer. Khudabaksh Shafi trank Tee aus einer eigens für ihn reservierten Tasse. Für Prabhjot Kaur war es die Muslimtasse, und es gab jedesmal Ärger mit Mata-ji, wenn Papa-ji sie unter der Handpumpe im Hof eigenhändig abwusch. Mata-ji verzog dann

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