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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Prabhjot Kaurs Alter vor, packte es am Arm und zog es zurück.
    »Ram Pari«, sagte Prabhjot Kaur, »was ist passiert?«
    »Was soll ich sagen, Nikki? Was soll ich sagen? Mein Mann - er ist zurückgekommen.« Sie breitete die Hände aus, eine Geste, die nicht nur ihre Kinder und Prabhjot Kaur, sondern die ganze Welt umfaßte.
    »Aber er kann dich doch nicht einfach aus dem Haus jagen. Das ist nicht recht.« Ram Pari schwieg, und Prabhjot Kaur hatte das unbehagliche Gefühl, daß alle sie ansahen, selbst das Baby, all die glühenden schwarzen Augen, gänzlich ausdruckslos zwar, aber doch so, daß sie von einem Fuß auf den anderen trat und sich nach einem Fluchtweg umsah. Sie wich zurück, machte kehrt und lief ins Haus. Panik stieg in ihr auf, eine nagende Angst, die schwarz und purpurrot war und wie ein fauler Apfel schmeckte, in den sie einmal gebissen hatte, schwammig und braun unter der festen Schale. Sie warf sich an Mata-jis Schulter und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. »Ach, Mata-ji, laß sie doch bleiben«, stieß sie hervor.
    »Du auch?« Mata-ji verdrehte die Augen. »Heilige und Fürsorgerinnen sind meine Töchter neuerdings.«
    Navneet-bhenji lachte. Sie saß an dem Tisch im Flur, vor sich eine kleine Tasse mit Öl, das sie sich mit langen Strichen ins Haar kämmte. Die schwarzen Strähnen hoben sich und fielen in Wellen wieder herab. Navneet-bhenjis herzförmiges Gesicht glühte im Morgenlicht, und ihre roten Lippen kräuselten sich - noch nie hatte Prabhjot Kaur sie so schön gesehen.
    »Navneet-bhenji«, rief Prabhjot Kaur, den Tränen nahe, »sag Mata-ji, Ram Pari muß bleiben!«
    »Es gibt nur Ärger, wenn man sich in die Streitereien von solchen Leuten einmischt«, sagte Mata-ji. »Wollt ihr etwa, daß dieser Mann in unserer Gasse auftaucht und bei uns ein und aus geht? Und dieser dreckige Bruder von ihr ...«
    »Du kannst sie ja alle waschen, Mata-ji«, sagte Navneet-bhenji, »gleich dreimal.«
    »Fang du nicht auch noch an, Navneet. Und ihr beide macht euch für die Schule fertig.«
    Mit zitternden Fingern knöpfte Prabhjot Kaur ihre Uniform zu, und in der Schule konnte sie sich auf nichts konzentrieren, weil sie sich die ganze Zeit ausmalte, wie Ram Pari durch eine endlose dornige Einöde wanderte und ihre vor Durst wimmernden Kinder eines nach dem anderen niederfielen. Manjeet und Asha wunderten sich, wieviel Mühe es Prabhjot Kaur machte, im Unterricht mitzuschreiben. In der Pause erzählte sie ihnen von Ram Paris Notlage, aber sie reagierten ungerührt oder nur halb oder ein Viertel so gerührt wie Prabhjot Kaur. Wenn überhaupt. »Solche Leute streiten sich doch dauernd«, meinte Asha. Prabhjot Kaur hörte ihre Worte, sie sah den strengen Zug um ihren Mund und mußte plötzlich gegen die Tränen kämpfen. Manjeet zuckte nur die Schultern, und beide wandten sich wichtigeren Dingen zu, der Frage nämlich, ob Manjeets Vater dazu überredet werden könne, einen Wochenendausflug zu finanzieren. Sie steckten die Köpfe zusammen, Prabhjot Kaur sah ihre glänzenden Zöpfe und das reine Weiß ihrer Dupattas, und sie wollte sprechen, doch ihr Gefühl für Ram Pari gehörte in einen dämmrigen, versteckten Winkel tief in einer Höhle und ließ sich unmöglich ans grelle Sommerlicht zerren. Und so atmete sie nur tief ein und schwieg. Sie schwieg den ganzen Tag, schwieg auch in Daraq Alis Tanga, bis sie zu Hause war.
    Ram Paris Kinder waren noch da, drängten sich noch immer in dem schmaler werdenden, über den Hof wandernden Schattenfleck. Ram Pari schrubbte im Haus den letzten Topf. Navneet-bhenji lag mit einem Buch auf dem Bauch dösend da und wedelte träge mit einem Fächer. Ohne die Augen zu öffnen, erzählte sie Prabhjot Kaur von den Kämpfen des Tages. Ram Pari sei unaufgefordert hereingekommen und habe wie immer den Hof gefegt. Dann habe sie vor Mata-jis Augen ihre gewohnten Arbeiten verrichtet, und die beiden hätten sich schweigend umeinander herum bewegt. Den ganzen Tag hätten sie kein Wort miteinander gewechselt. Auch jetzt, als Mata-ji auf dem Weg zu der Treppe, die aufs Dach führte, mit einem nassen Kleiderknäuel in der Hand schräg über die glühenden Ziegel herankam und dicht an Ram Pari vorbeiging, wandten beide den Blick ab, als erforderten Kleider und Töpfe ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
    »Sie hat sie nicht angeschaut, stimmt's?« fragte Navneet-bhenji, die Augen noch immer geschlossen.
    »Wer?«
    »Mata-ji. Sie hat Ram Pari nicht angeschaut?«
    »Nein.«
    »So geht das

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