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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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immer das Gesicht, woraufhin Navneet-bhenji und Mani die Augen verdrehten und sagten, wie furchtbar dumm sie sei. Prabhjot Kaur mochte Khudabaksh Shafi, der einen breiten, geraden Schnurrbart hatte und nie ohne Geschenke kam. Diesmal hatte er einen Korb Litschis mitgebracht. »Speziell für dich, Beta«, sagte er lachend. »Iß sie nach dem Abendbrot, und laß sie dir nicht von den beiden Mustandas 436 da draußen abluchsen.« Prabhjot Kaurs Brüder lümmelten in ihren weißen Kricketsachen im Hof und tranken aus riesigen Messingbechern Khari-Lassi. Iqbal-virji sprang auf, nahm seinen Schläger - den er jeden zweiten Tag mit einem Spezialöl behandelte - und zeigte Prabhjot Kaur, wie er in einem einzigen Over drei Sechser erzielt hatte, gegen diesen Shahidul Almansoor, der sich für den besten Bowler der Provinz hielt. Prabhjot Kaur wiegte sich auf Zehenspitzen vor und zurück und versuchte Interesse aufzubringen, doch sobald es ging, glitt sie seitwärts davon zum Zimmer ihrer Mutter und lehnte sich gegen die Tür, bis sich auf dem Boden ein Lichtdreieck öffnete. Sie schlüpfte hinein und setzte sich auf Papa-jis Seite ans Fußende des Bettes. Es war so hoch, daß sie beim Hinaufklettern beide Hände zu Hilfe nehmen mußte. Die Silhouette ihrer Mutter zeichnete sich im Dunkel ab. Ein Tischventilator wehte die Luft hin und her.
    »Was ist?« fragte Mata-ji, ohne sich umzudrehen.
    »Ist irgendwas mit Ram Pari?«
    Mata-ji tat einen tiefen Atemzug. »Diese Leute!«
    »Hat sie was getan, Mata-ji?«
    »Nein, sie nicht. Ihr Mann.«
    »Sie hat einen Mann?«
    »Sie hat sogar neun Kinder, Beta. Er war anderthalb Jahre nicht mehr zu Hause, und sie war sich sicher, daß er irgendwo eine andere Frau hat. Aber gestern ist er zurückgekommen. Wie ein Laat-sahib hat er die Beine ausgestreckt und nach seinem Essen gerufen. Das ist mein Haus, hat er gesagt.«
    »Ist es sein Haus?«
    »Der hat in seinem ganzen Leben noch keine zehn Rupien verdient.«
    Irgendwie klang es, als sei das Thema damit beendet. Mata-jis Schulter bewegte sich und kam dann zur Ruhe, ihr Atem veränderte seinen Rhythmus, und Prabhjot Kaur ließ sich mit glühenden Wangen langsam vom Bett herab. Ram Pari trottete noch immer irgendwo dahin, so gerade wie der Lauf des Schicksals, doch Prabhjot Kaur konnte nur an eines denken: Sie selbst hatte in ihrem ganzen Leben noch keine einzige Rupie verdient, aber sie hatte eine gestohlen. Sie stand im Schatten der gerillten Säulen am Rand des Innenhofes und betrachtete ihre Brüder, die roten Kricketballflecken auf ihren Hosen, ihre wohlige Erschöpfung, und sie fragte sich, ob das Haus ihr gehörte. Den ganzen Abend über glitt es weiter von ihr fort, dieses heimatliche Gefühl, das sie vom ersten Tag an empfunden hatte, als sie die hohen Balken und die halb mit Backsteinen ausgekleidete Baugrube gesehen hatte. Selbst als die Sonne an den Säulen aufwärts wanderte, als sie den Hof mit Wasser sprengte und ein frischer abendlicher Duft aufstieg, stellte es sich nicht wieder ein. Ihr Schlaf war leicht und unruhig, und in ihren Träumen wehte der Wind sie über die weißen Dächer der Stadt Sabhwal, in der sie zur Welt gekommen war.
    Streitende Stimmen weckten sie. Mani meinte, Ram Pari müsse bleiben - »Sie kann doch sonst nirgendwohin!« und Prabhjot Kaur merkte, daß sie sich anstrengen mußte, um nicht laut zu werden.
    »Das ist zwar alles sehr traurig«, sagte Mata-ji, »aber seit wann ist sie meine Tante, um die ich mich kümmern muß? Sie kann doch zu ihren Verwandten.«
    »Sie hat hier niemanden, Mata-ji, das hab ich dir doch schon gesagt. Ihr Mann hat sie damals aus ihrem Dorf hierhergeholt. Soll sie denn mit ihren vielen Kindern auf der Straße schlafen?«
    »Hab ich gesagt, daß sie irgendwas soll?« Mata-ji saß mit untergeschlagenen Beinen in der Nähe der Küche, auf dem Schoß eine große Schale mit einem Berg Weizen auf einer Seite. Die Körner rutschten unter ihren flinken Fingern unaufhörlich über das Metall auf die andere Seite, und auf dem Boden neben ihr häuften sich Hülsen, Halme und schwarze Steinchen. »Sie soll überhaupt nichts.«
    Prabhjot Kaur lief durch den Hof und zum Tor hinaus. Ram Pari kauerte unter dem Torbogen auf einer zusammengerollten blauen Matratze, von einer Kinderschar umgeben. Ein Baby, nackt bis auf eine Schnur um den Bauch, krabbelte mit seinen dicken Beinchen über Knöchel und Schienbeine. Als es dem Kreis der Körper schon fast entkommen war, beugte sich ein Mädchen in

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