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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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etwas geschieht, bringe ich mich um.«
    Wie wenig jungen Menschen das Leben doch wert ist, ihnen, die so voll davon sind. Wie wenig wissen sie vom Tod. Sie denken, er sei nur eine Pause in einem Drama, suhlen sich in der Vorstellung, wie ihre unterdrückerischen Eltern sich gegen die Brust schlagen und jammern, und begreifen nicht, daß der Vorhang fällt, daß dieses Verschwinden unwiderruflich ist. Ich sagte das zu Dipika, worauf sie lachte. »Ich bin kein Kind mehr«, antwortete sie, und da wurde mir klar, wie weit sie mit diesem Prashant schon gegangen war, sah den strahlenden Stolz der jungen Frau auf die Freuden, die sie empfangen und gewährt hatte.
    »Was willst du von mir, Dipika?« fragte ich.
    »Reden Sie mit Papa. Auf Sie wird er hören.« Sie nahm meine Hand und legte sie auf ihren Scheitel. »Sie waren immer nett zu mir, seit meiner Kindheit. Und ich weiß, daß Sie nicht altmodisch denken.«
    Sie meinte, daß in meiner Company Brahmanen und Marathen, Muslime, Dalits und OBCs zusammenarbeiteten, ohne Unterschied und ohne Mißtrauen. Wir hatten OBCs, die als Controllers arbeiteten, und Brahmanen, die Fußsoldaten waren, und keiner verschwendete einen Gedanken darauf. Muslime und Hindus waren Kameraden, die einander Tag für Tag, Nacht für Nacht ihr Leben anvertrauten. Aber das war keine Besonderheit meiner Company, es traf auch auf viele andere Companys zu. Wir Bhais waren wirklich Brüder - wir lebten jenseits von Recht und Gesetz und waren einander verbunden. Wir waren zu allem entschlossen und deshalb frei. Aber eine Company war eine Company, und eine Ehe - besonders in einer Großfamilie wie der ihren -war etwas anderes. Doch wie, wie nur sollte ich das diesem Kind erklären, das jetzt meine Hand mit seinen beiden Händen hielt?
    »Geh rein«, sagte ich. »Tu nichts. Sag niemandem etwas, keiner Menschenseele. Laß mich darüber nachdenken.«
    Tränen tropften ihr aufs Kinn. Ich wischte ihr das Gesicht mit ihrem Pallu ab und schickte sie mit ihrem schwankenden Teller wieder hinein. Und zu Chhota Badriya sagte ich, daß wir nach Film City rausfahren würden.
    »Jetzt, Bhai?« fragte er.
    »Nein, nächste Woche, Chutiya«, antwortete ich. »Steig ein.« Er war wirklich ein ulkiger Junge, ein Kerl wie eine Dampfwalze, der keine Angst vor Schwertern hatte und bleihaltige Luft unterhaltsam fand, doch vor Film City im Dunkeln fürchtete er sich, denn ihm hatte mal jemand erzählt, daß nachts Leoparden von den bewaldeteten Hügeln kämen. Er setzte sich neben den Fahrer, den Arm über der Rückenlehne, und trommelte nervös mit den Fingern. Schließlich drückte ich seine Hand sanft nieder und sagte: »Okay, okay, hör auf zu zittern. Du kannst im Auto bleiben.«
    Er nickte heftig, hocherfreut. »Gut, Bhai. Ich bewache das Auto.«
    Die Männer im Wagen brachen in schallendes Gelächter aus. Ich schlug ihm auf den Hinterkopf. »Bhadve, verteidige es mit Zähnen und Klauen! Sorg dafür, daß die Moskitos es nicht stehlen, okay? Und wenn eine große Kakerlake kommt, schieß sie mit deiner Gulel in tausend Stücke, okay?«
    Wir lachten während der ganzen Fahrt nach Film City. Für die Wachen am Eingang bremsten wir etwas ab, dann rasten wir die ansteigende Straße hinauf, durch die plötzliche Dunkelheit und Stille der buschbewachsenen Hügel. Es dämmerte schon, die Straße war leer. Man sah zusammengedrängte Schatten unter den Blättern, wildes Astgewirr, und plötzlich erhob sich auf dem offenen Gelände vor uns ein Schloß mit hohen Türmchen und flatternden Fahnen im Licht des aufgehenden Mondes. Natürlich war es aus Holz und Segeltuch erbaut, aber in diesem Licht wirkte es vollkommen echt. Wir fuhren an einem kompletten goanesischen Marktplatz vorbei, den eine hohe Kirche überragte, die ihr Kruzifix emporstreckte, und an einem Fischereihafen, in dem Boote aneinandergelehnt schlummerten. Hier in Film City wurden Träume von der perfekten Liebe geschaffen, wurden die Lieder choreographiert, die Dipika und ihr Freund einander zweifellos vorsangen. Die Straße beschrieb eine scharfe Kurve, der Motor heulte auf, und es ging immer weiter hoch, zum Heliport hinauf. Der Mond hing tief, schien ganz nah, schwebte knapp über den Gipfeln der Berge, und die Täler waren scharfe Einschnitte in Silber und Schwarz. Eine leichte Brise strich mir über den Nacken. Dies war die tiefe Stille fernab der Stadt, die ich suchte, ihretwegen kam ich immer wieder hierher. Ich trat an den Rand des Heliports, und die Jungs

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